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Im Versteck

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Im Versteck

Nicht weil es schwer ist, wagen wir es nicht, sondern weil wir es nicht wagen, ist es schwer.“

Lucius Aennaeus Seneca

Einleitung

Es gibt einen Wald, in dem leben viele Kaninchen. In dem Wald gibt es Lichtungen mit saftigem Gras, aber auf denen sieht man nur ganz, ganz selten einmal ein Kaninchen.
Das ist so, weil die Kaninchen auf der Lichtung schutzlos wären.

Es geht die Sage, dass jedes Kaninchen, das es wagt, die Deckung zu verlassen und zum Fressen auf die Lichtung zu gehen, von einem irgendwo versteckt lauernden Wolf gefressen wird. Also fressen die Kaninchen nur die kargen Kräuter, die es im Unterholz des Waldes gibt.

Gerüchteweise gibt es Nachrichten von anderen Kaninchen in dem Wald, die behaupten, es gäbe in dem ganzen Wald keine Wölfe und sie würden unbehelligt auf jede Lichtung hoppeln und das Gras dort genießen.

Doch die meisten Kaninchen glauben diesen Gerüchten nicht, denn wenn das nicht stimmt, dann würden sie ihr Leben riskieren, wenn sie den Gerüchten vertrauend auf die Lichtung gingen.

Die Tatsache, dass sie manchmal schon ein Kaninchen auf einer Lichtung sehen, kann sie nicht umstimmen, denn das könnte ja ein besonders schnelles und starkes Kaninchen sein oder der Wolf fällt es nur zufällig nicht an.

Der Teufelskreis

Die vermuteten Dunkelziffern über die Häufigkeit von Transidentität in der männlichen Bevölkerung lassen keinen anderen Schluss zu:

Da draußen muss es Tausende und Abertausende von Männern geben, die sich zumindest partiell weiblich fühlen und Bedürfnisse haben, diesem Aspekt Ausdruck zu verleihen. Die dies aber aus Angst vor den gesellschaftlichen Konsequenzen nicht vor anderen, teils nicht mal vor engsten Familienangehörigen, vielleicht nicht mal vor sich selbst zugestehen können.

Ein Mann, der sich einbildet, eine Frau zu sein? Der sogar so tut, als sei er eine Frau? Wie peinlich! Wie lächerlich! Männer sind Männer und Frauen sind Frauen.

Sie unterdrücken ihre Bedürfnisse oder verstecken sie vor aller Welt. Ich weiß, was das für ein Stress ist, denn ich selbst habe das lange Zeit selber so gemacht.

Diese Situation führt in einen Teufelskreis.
Weil es so wenig Beispiele für die gesellschaftliche Toleranz gibt, verstecken sich viele, wenn nicht sogar die meisten Menschen mit transvestitischen Neigungen.

Weil sich aber so viele Betroffene verstecken, wird nicht erkennbar, wie viele Betroffene es gibt. Und dadurch scheinen die entsprechenden Neigungen viel seltener und „abnormer“ zu sein, als dies tatsächlich der Fall ist.

Weil das Phänomen scheinbar so selten ist, ist der vermutete Sensationswert um so höher, was den Betroffenen wiederum noch schwerer macht, ihre gewählte Isolation aufzugeben. Wer also keinen Wert darauf legt, eine Sensation zu sein, der muss sich verstecken! Und trägt so dazu bei, den Eindruck zu erwecken, dass Transidentität ein absolutes Ausnahmephänomen in der Gesellschaft ist.

Wie findet man Menschen, die nicht entdeckt werden wollen?

Ich war sehr lange fest davon überzeugt, dass ich mit meiner Neigung nie jemand anderen finden könnte, dem es ebenso geht und mit dem ich mich austauschen könnte.

Wie auch? Denn schließlich wird sich jeder andere ebenso gut verstecken, wie ich selbst. Er wäre für mich ebenso ein (nicht vertrauenswürdiger, kein Verständnis habender) Normalmensch, wie ich es für ihn bin.

Viele transidente Menschen, speziell weiblich fühlende Männer, sind, was diesen Aspekt angeht, einsam. Sie haben niemanden, mit dem sie reden können. Weil sie selbst versteckt bleiben, kann sie niemand ansprechen. Und weil auch die meisten anderen im Versteck bleiben, kennen sie auch niemanden.

So bleiben viele allein mit Problemen, die lösbar wären ,wenn sie nur den Mut fänden sich anderen Menschen zu offenbaren.

Exkurs: Geheimzeichen

Die Thematik, wie sich transidente Menschen untereinander erkennen könnten, ohne sich Normalbürgern gegenüber zu offenbaren, wurde seit ich die Szene beobachte schon mehrfach diskutiert.
Gerade diejenigen, die sehr versteckt leben, erhoffen sich davon viel.

Ein Zeichen, das es ermöglicht, sich einerseits zur eigenen Besonderheit zu bekennen und dadurch den Kontakt zu anderen Betroffenen möglich macht und zugleich unverdächtig ist.
So eine Art Freimaurergruß, der nur für Eingeweihte eine Bedeutung hat, Uneingeweihten aber ein Geheimnis bleibt.

Wegen der notorischen Zerstrittenheit der Transgenderszene ist es bisher nicht dazu gekommen, dass wir uns jemals auf ein einheitliches Symbol geeinigt hätten. Wir können uns nicht einmal darauf einigen, ob wir den Begriff „Transgender“ (wie z.B. im englischen Sprachraum weithin akzeptiert) als gemeinsamen Oberbegriff für die verschiedenen Ausprägungen von Transidentität verwenden wollen.

Es gibt kein transidentes Pedant zum Regenbogen der Homosexuellen und auch der ist schließlich nicht geheim, sondern ein Bekenntnis. Und zu ihrer Besonderheit bekennen wollen sich die meisten transidenten Menschen eben gerade nicht. Die einen, weil sie ihre männlich-bürgerliche Fassade gefährdet sehen und die anderen, weil sie nicht wollen, dass man in ihnen etwas anderes sieht als eine ganz normale Frau.

Das wird es wegen der angedeuteten Aspekte wohl auch nie geben. Schon deshalb stehen die Chancen für ein Geheimzeichen bei Null.

Wie man es anstellen sollte, dass ein solches Zeichen allen, aber eben auch ausschließlich transidenten Menschen etwas sagen sollte, wenn doch der größte Teil sich gar nicht offen zu seiner Besonderheit bekennt, davon will ich gar nicht erst reden.

Das Internet

Zum Glück kam für mich gerade noch rechtzeitig das Internet. Es verschaffte mir die Möglichkeit (zunächst sogar noch rein passiv und ohne direkte oder gar persönliche Kontakte), Zugang zu anderen Menschen zu finden, die so oder so ähnlich waren wie ich.

Ich war nicht allein! Da sind noch viele, viele mehr von meiner Sorte. Eine wunderbare Erkenntnis.

Für mich markierte das Internet einen wichtigen Punkt auf meinem Weg zu einem besseren Leben. Wer weiß, wo ich heute ohne das Internet wäre.
Auch für viele andere Trannies war das wohl so ähnlich. Weibliches Expertenwissen, an das man über die Frauen im eigenen Leben (Ehefrau, Mutter, Schwestern …) wegen der Brisanz des Themas nicht rankam, rückt über das Netz in Greifweite.

Das Ausleben im Internet war jedoch für mich nicht die Lösung meines Problems. Es genügte mir eben nicht, im Web in weiblicher Identität unterwegs sein zu können. Ich wollte auch „im richtigen Leben“ ich selbst sein können.

Die Menschen im Internet haben mir einen wichtigen Impuls gegeben. Ich habe von ihnen nämlich gelernt, dass es geht! Man kann als transidente Person zu sich selber stehen und seine Bedürfnisse leben, ohne von einem schwarzen Loch verschlungen zu werden.

Es war für mich ein echtes Aha-Erlebnis, dass die Menschen offen zu dem standen, was sie sind und sich mit Namen und Bild der Welt präsentierten. Sie versteckten sich nicht, sondern präsentierten sich mit ihrer weiblichen Seite der Weböffentlichkeit. Und nicht bloß das. Im Internet lernte ich Leute kennen, die es schafften, ihre Weiblichkeit in verschiedenen Formen auszuleben, ohne dass dadurch die Welt unterging. Da waren Menschen wie ich, die auf Parties gingen und sogar am hellen Tag zum Einkaufen.

„Andere können das!“ Diese Erkenntnis traf mich wie ein Blitz, denn ich sagte mir „Wenn andere es können, dann kann ich es auch!“ In der für mich bis dahin unüberwindlichen Mauer meines Gefängnisses gab es plötzlich eine offene Tür.
Ich bin durch diese Tür da hin gegangen, wo ich jetzt bin.

Wieso nicht alle?

Das löst natürlich die Frage aus, warum nicht alle transidenten Personen, die im Web die gleichen Informationen finden, wie ich, ihr Versteck verlassen.
Tja, die Informationen mögen zwar ähnlich sein, doch die Schlussfolgerungen sind es nicht.

Ich kenne eine Menge Personen, die auf die Berichte anderer und (darauf bin ich sehr stolz!) inzwischen auch meiner im Netz hin, sich selbst mehr getraut haben und sich (um das Anfangsbild aufzugreifen) ein Stücken weit auf die Wiese getraut haben.

Es gibt aber wahrscheinlich noch viele mehr, die anders als ich gefolgert haben „Das mag für andere zwar möglich sein, aber ich kann es nicht!“
Auf diese „ja, aber“-Reaktion gehe ich etwas später noch genauer ein.

Die Angst

Diejenigen, die trotz der Chancen, die unsere moderne Welt bietet, nicht nach draußen gehen, haben vor allem eines: Angst! Das ist keine Wertung, das ist eine Tatsache!

Vor was haben all die Männer, die sich mit ihren weiblichen Aspekten herumschlagen, denn genau Angst? Es ist eine ganze Menge:

  • Beeinträchtigung sozialer Beziehungen
  • Trennung/Scheidung
  • Isolation
  • Hohn und Spott
  • Jobverlust
  • Ansehensverlust

Das alles kann durchaus passieren, wenn man sich in der einen oder anderen Form der Welt präsentiert. Für alle genannten Punkte habe ich schon Beispiele kennengelernt … teils vom Hörensagen, teils aus eigenem Erleben.

Wir reden hier also nicht über irreale Ängste, sondern über Dinge, die durchaus geschehen können. Wohlgemerkt „können“! Das alles ist möglich, aber es muss nicht zwangsläufig geschehen.

Verstecken hat Folgen

Auf der anderen Seite hat das Verstecken und Verdrängen ganz reale und nicht bloß hypothetische Auswirkungen. Es hat Folgen, wenn ich aus Angst Dinge nicht tue, die für mich wichtig sind.

Ausgehend von meinen eigenen Erfahrungen sind diese Folgen zum einen gesundheitlicher Art und zum anderen charakterlicher Art.

Verzicht

Zunächst einmal besteht der Preis des Versteckens im Verzicht auf Selbstverwirklichung.

In mehr oder weniger großem Umfang verzichtet man darauf, das zu tun, was man gerne tun würde.
Natürlich sind die Bedürfnisse unterschiedlich ausgeprägt und auch unterschiedlich intensiv. Deshalb ist auch der Verzicht, den einzelne üben, unterschiedlich schmerzhaft.

Viele von denjenigen, die isoliert ihre Besonderheit vor aller Welt verstecken, haben wahrscheinlich keinerlei Bedürfnisse, als Frau vor die Tür zu gehen. Trotzdem verzichten auch sie. Eventuell auf die Möglichkeit, in Anwesenheit ihrer Frau abends mal einen Rock tragen zu können, eventuell auf die Chance mit einer anderen Menschenseele darüber reden zu können, wie sie sich fühlen und was sie sich wünschen.

Besonders der letzte Aspekt war für mich auf lange Sicht gesehen der quälendste. Die Überzeugung, mit dieser Seite meiner Persönlichkeit vollkommen isoliert zu sein, war für mich ein großes Problem. Ich bin ein kommunikativer Mensch und ausgerechnet mit dem Aspekt, der mir die meisten Fragen bescherte, konnte ich mich an niemanden wenden. Ein Teil meiner Seele fühlte sich wie in Einzelhaft.

Wachsamkeit

Wer auf der Flucht vor seinen Feinden ist, der ist nicht entspannt.

Alle Sinne sind angespannt, die Wahrnehmung auf leiseste Hinweise der Entdeckung fokussiert.
Das kostet Kraft!

Negative Haltung selbst

Erst im Nachhinein habe ich verstanden, dass der eigentliche Preis, der viel höher war als der Verzicht, darin bestand, dass mich meine Versteckerei zwangsläufig zu einer negativen Haltung gegenüber meinen Mitmenschen gebracht hat.

Da ist schon mal die Grundannahme selbst. Sie muss zwangsläufig eine pessimistische sein. Wenn sie nicht vorausgesetzen würden, dass da etwas zu befürchten ist (von Nachbarn, Bekannten, Kollegen …) dann wären ja auch die Schlussfolgerungen Unfug. Wenn die Menschen mir nichts Böses wollen, dann gibt es ja auch keinen Grund, sich vor ihnen zu verstecken! Also muss ich in bestimmtem Umfang negative Grundannahmen über andere Menschen treffen und davon ausgehen, dass sie tendenziell eher böse sind.

Zum zweiten sind da die Auswirkungen meines Verzichts! Mir ging es lange Zeit schlecht! Und weshalb? Weil ich mich nicht selbst verwirklichen konnte! Und warum konnte ich das nicht? Weil ich mich vor den Leuten verstecken musste! Die sind also schuld!

Beides zusammengenommen führte dazu, dass ich eine sehr pessimistische Grundhaltung gegenüber anderen Menschen hatte. Zu denen viel mir spontan kaum etwas Gutes ein. Und diese Grundhaltung wirkte natürlich auch in meinem Kommunikationsverhalten zu diesen anderen Menschen.

Leben in einer dunkleren Welt

Wer sich dauernd vor Gewalttätern fürchtet und sich dauernd mit dem Schutz vor Gewalt beschäftigt, der lebt in einer viel gewalttätigeren Welt, als jemand der das nicht tut!.

Wer die (natürlich in gewissem Maße vorhandene) Gewalt für seine Lebensgestaltung als irrelevant ansieht, wird höchstens dann mit Gewalt zu tun haben, wenn er sie selbst direkt oder indirekt erlebt. Wenn ich aber immer auf die Gewalt fokussiere, dann ist sie auch immer präsent!

Das heißt für Menschen, die sich vor einer (realen, aber unbekannt großen) Gefahr verstecken, ist diese Gefahr sehr viel gegenwärtiger und ihr Leben beeinträchtigender, als für Leute, die sie ignorieren. Brutal (und wahrscheinlich überzogen formuliert): dein Leben wird ständig von der Angst für irgendwelchen schlechten, bösen Menschen beeinträchtigt, vor denen du dich schützen musst. Meines nicht. Über dich haben diese Menschen Macht, über mich nicht. Dir zwingen sie ihren Willen (zB: „so was wie dich darf es nicht geben!“) auf. Mir nicht.

Das mag verdeutlichen, dass der Nutzen der Einstellungsänderung nicht darauf beschränkt ist, dass man im Hinblick auf die Selbstverwirklichung profitiert, sondern dass man in einer (naiv gesagt) freundlicheren Welt lebt. Insofern gehen für mich auch deine Hinweise auf sich vielleicht doch realisierende Risiken fehl. Mag sein, dass das passiert. Aber es ist dann trotzdem bloß die negative Ausnahme und nicht der Regelfall unter dem ich ständig leide, weil ich mich dauernd vor ihm schütze.

Gesundheit

Meine Ausführungen zu diesem Thema kann ich zwar nicht beweisen, doch ausgehend von meinen eigenen Erfahrungen bin ich fest davon überzeugt: Der Verzicht auf die Verwirklichung von Aspekten der eigenen Persönlichkeit, die gelebt werden wollen und die dazu nötige Abschottung von der Welt sind dauerhaft schädlich!

In meinem Fall bestand die Folge in wiederkehrenden, immer schlimmer werdenden depressiven Phasen, in denen Selbstmordfantasien einen immer breiteren Raum einnahmen. Natürlich, denn die Welt in der ich damals lebte, war für einen Menschen wie mich nicht lebenswert.

Ausgehend von meinen Gesprächen mit anderen transidenten Menschen würde ich ergänzend auch die folgenden Krankheiten als Folgen für möglich halten:

  • Übergewicht
  • Alkoholsucht (bzw. Süchte überhaupt)
  • Magen-, Darmprobleme
  • Hörsturz
  • Infarkt

und weitere stressinduzierte Krankheiten.

Denn genau das ist es, was das dauerhafte Versteck“spiel“ für den Körper und die Psyche bedeutet: Stress!

 Zu den negativen gesundheitlichen Aspekten verweise ich auf die Untersuchung Coleman: Männer in Kleidern. Coleman, selbst Crossdresser, Mediziner und Bestsellerautor hat dort basieren auf einer Untersuchung, die er in England durchgeführt hat, insbesondere die psychosomatischen Auswirkungen der Unterdrückung eines solchen Persönlichkeitsanteils dargestellt.

Auswege?

Welche Auswege gibt es denn nun aus dem Teufelskreis?

Heilung

Das war das erste, was mir damals eingefallen ist und ist wahrscheinlich auch das, was den meisten Partnerinnen von Betroffenen einfällt.

„Mach eine Therapie!“
Dahinter steht die Annahme, man könne sich Transidentität abgewöhnen wie eine Sucht oder wegtrainieren wie eine Phobie.

Ich will mich gar nicht groß an dieser Stelle aufhalten, denn es lohnt nicht. Die Antwort heißt „Vergiss es!“ Es gibt keine „Heilung“. Du kannst nicht vor dir selber fliehen.

Veränderung der Gesellschaft

„Es müsste Bewegung in die Gesellschaft kommen! Die müsste halt toleranter werden!“ ist eine häufige Wunschvorstellung.

Natürlich, darauf kann man warten. Aber warum sollte sich die Gesellschaft verändern, wenn sie nicht mal weiß, dass es eine Personengruppe gibt, die darauf wartet?

Das ist ein Teil des Teufelskreises, der durch die Zurückgezogenheit so vieler Betroffener erzeugt wird. Die wenigen in der Öffentlichkeit auftauchenden Exemplare machen allein schon durch ihre Seltenheit deutlich, dass es sich um ein absolutes Randphänomen handelt. Wieso sollte die Gesellschaft Menschen nicht für seltene Exoten halten, wenn sie doch augenscheinlich eben solche sind?

Aktivisten

Es könnte sich ja vielleicht auch eine Gruppe engagierter, transidenter Menschen zusammenfinden. Sie könnte eine Bürgerbewegung gründen oder vielleicht auch eine Partei.
Doch würde die Menge der versteckt lebenden transidenten Menschen eine solche Initiative unterstützen? Oder würde sie nicht viel eher warten, bis diese Initiative Erfolge erkämpft hat?! Aber wie soll sie erfolgreich sein, wenn sie keine Unterstützung findet?

Außerdem, das habe ich nach einer idealitisch-naiven Anfangsphase inzwischen gründlich gelernt, gibt es keine hinreichend breite gemeinsame Basis für die verschiedenen Arten von Transgendern.

Transsexuelle grenzen sich von Transvestiten ab und umgekehrt. Frauen in Männerkörpern distanzieren empört sich von Männern in Frauenkleidern. Von homosexuellen Dragqueens grenzen wir uns bewusst ab und Intersexuelle haben wiederum kein Verständnis für uns.

Nein, es wird keine hinreichend große und damit gesellschaftlich relevante Gruppe mit gemeinsamen Interessen zusammenkommen. Gar nicht daran zu denken, dass die auch noch etwas bewirkt.

Prominente Figur

Ein Martin Luther King oder ein Wowereit der Transidenten! Das wäre es. Viele hoffen, dass sich irgendwann einmal eine prominente und respektable Person zu ihrer Transidentität bekennt. Ideal wäre ein hochrangiger Politiker, der sich hinstellt und sagt „Ich bin ein Transvestit! Ich trage gerne Frauenkleidung. Na und?“ und der dann eventuell sogar noch zu einem großen Empfang mal nicht im grauen Anzug, sondern im „kleinen Schwarzen“ erscheint.

Das wird es aber kaum geben! Warum sollte eine transidente Person (und statistisch gesehen muss es solche in der Riege der Prominenten geben) das tun? Um sich selbst Freiheiten zu verschaffen? Vielleicht. Aber die Menge der versteckt lebenden Transvestiten, Crossdresser, Transwasauchimmer, die schon als Nicht-Promis Angst vor negativer Publizität haben, lässt vermuten, dass ein prominenter Politiker oder Wirtschaftsboss, der ein sehr viel höheres Risiko eingeht, sich ganz bestimmt nicht öffentlich zu seiner Neigung bekennen wird, es sei denn er muss es.

Exkurs: Outing

In der Schwulenbewegung gab es eine Zeit lang das Phänomen des Outing.

Im Gegensatz zum freiwilligen Coming Out, war das Outing unfreiwillig. Prominente Schwule, die ihre Homosexualität geheim gehalten hatten, wurden von anderen öffentlich als Homosexuelle benannt.
Der Gedanke dahinter war, dass die Prominenten die Pflicht hätten, sich zu ihrer Homosexualität zu bekennen, damit die Verbreitung des Phänomens in der Öffentlichkeit bekannter wird und so die Akzeptanz steigt.

Unter moralischen Aspekten speziell im Hinblick auf die persönliche Selbstbestimmung ist dieses Vorgehen total unter der Gürtellinie.

Coleman!
Den oben zitierten Arzt Coleman könnte man eventuell als gutes Beispiel dafür nehmen, was passiert, wenn jemand, der recht populär ist, sich zu seiner Transidentität bekennt. Nämlich nichts! Der Sensationswert ist gleich null und man muss schon wissen, wonach man suchen will, um aus den Webressourcen über ihn herauszufinden, dass er ein Transvestit ist.

Erhoffe nichts! Heute, das ist dein Leben.“

Kurt Tucholsky

Letzte Chance: Rettungssaurier

Der Rettungssaurier (pterodaktyus salvatus) Deus X. Machina, kurz Mac genannt, ist eine meiner Lieblingsfiguren aus dem Buch „Die 13 1/2 Leben des Käptn Blaubär“ von Walter Moers.

Leider gibt es diese freundlichen Lebewesen nur in Zamonien.

Außerdem retten sie nur Leute in letzter Sekunde, die tatsächlich in Gefahr sind. Da sich die versteckten Trannies, gar nicht erst in akute Gefahr ergeben, kann ihnen ja nichts passieren.

Das war’s, oder?

Das waren die gängigen Hoffnungen – alle vergeblich. Es bleibt als Zwischenergebnis, dass auf die anderen kein Verlass ist.

Eigene Veränderung als einzige Lösung

Wenn du Veränderung möchtest, dann musst du sie schon selbst bewirken. Doch zum Glück musst du nicht die Welt oder die anderen Menschen verändern.

Mein Lösungsvorschlag: Die eigene Einstellung ändern und durch Ausprobieren feststellen, dass es gar keinen Grund gibt Angst zu haben.
Weil nur du selbst dir helfen kannst. Nur du entscheidest. Und wie du entscheidest, so ist es.
Aber wo fange ich da an? Wo ist die Wurzel des ganzen Übels?

Der Kern der Sache

Als ich mir die Frage stellte, wieso ich überhaupt angenommen habe, dass die anderen Menschen mir mit meiner besonderen Neigung kein Verständnis entgegenbringen könnten, musste ich lange und tief wühlen.

Vordergründig waren es „Wahrheiten“, die jeder wusste. Schon die Bibel sagt ja, dass der Mensch schlecht ist.

Aber warum war ich überzeugt, dass das stimmte? Die Ursache musste noch tiefer liegen.

Schließlich stieß ich auf die Antwort: ich habe die anderen Menschen für intolerant gehalten, weil ich mich selbst mit meiner Transidentität nicht leiden konnte! Ich habe diesen Teil von mir abgelehnt und verzweifelt versucht „normal“ zu sein. Ich habe mich dafür gehasst, dass ich diese immer wiederkehrende Sehnsucht nach Weiblichkeit hatte.

Selbstakzeptanz

Das ist meiner Meinung nach der Kern. Wer sich selbst mag und gut findet, der rechnet auch damit, dass andere das ebenso sehen. Und wer sich selbst ablehnt, der vermutet auch Ablehnung durch andere.

Mir ist mittlerweile der Gedanke sehr wichtig geworden, dass die negativen Annahmen über die anderen Menschen, die mit der Versteckspielerei verbunden sind, eine tiefere Quelle haben. Bei mir jedenfalls gab es eine starke Verbindung zwischen einer mangelnden Eigenliebe und der Vermutung, dass die anderen mich auchnicht leiden können. Ich habe mich selber mit meiner Transidentität nicht annehmen können. Von Mögen will ich gar nicht erst reden. Ich habe dagegen angekämpft und mich dafür gehasst, dass ich so bin.

Da ist natürlich der Gedanke naheliegend, dass es auch für andere Menschen vollkommen unakzeptabel ist. Pech ist natürlich, wenn der bzw. die engste Vertraute, also insbesondere eigene die Frau einen genau darin bestätigt. Leider ist die eigene Frau nicht neutral. Sie hat massive Eigeninteressen daran, wie ihr Partner idealerweise zu sein hat. Ich würde mir als Ehefrau auch nicht unbedingt einen Mann wünschen, der darauf besteht, sozial als Frau zu agieren und auch so gesehen zu werden.

Unsere Partnerin kann es sich vielleicht leisten, die Frau in uns (oder wenn es dir lieber ist, neutral „das Andere“) abzulehnen und nicht zu mögen. Sie ist ja mit sich und ihrem Selbstverständnis im Reinen.
Aber wir Betroffenen können uns das nicht leisten, jedenfalls nicht dauerhaft. Früher habe ich nicht kapiert, dass mein zynischer Umgang mit anderen Menschen, meine negativen Grundannahmen über sie, meine wiederkehrenden, immer schlimmer werdenden Depressionen usw usf, ihre Ursache darin hatten, dass ich im Krieg mit mir selbst war.

Erst als ich angefangen hatte, mich selber mögen zu lernen (es war ein längerer, immer noch nicht abgeschlossener Prozess) hörte das auf, bzw wurde besser. Nur wer sich selber mag, kann es für möglich halten, auch von anderen gemocht zu werden.

Die Einstellung verändern

Unsere inneren Bilder haben große Macht. Sie verändern die Realität! Denn unser Gehirn ist der Mittler zwischen uns und der Welt. Du sagst die Menschen wollen dir Böses? Dann ist es auch so. Ich sage, die Menschen sind freundlich und akzeptieren mich? Auch das stimmt.

Wenn wir auf Dauer gesund und glücklich leben wollen, müssen wir zu allererst Frieden mit uns selbst machen. Wir müssen aufhören uns zu schämen und sogar dafür zu hassen, dass wir nicht den Vorurteilen genügen können, die unsere Körperlichkeit anderen nahelegt.

Was so leicht klingt, ist in der Umsetzung ziemlich schwer. Wie ändert man seine Einstellungen?
Letztendlich dadurch, dass man sich entscheidet, es zu tun.

Dies ist die Stelle wo viele, wenn nicht sogar die meisten Betroffenen eventuell gut daran tun, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Eine Therapie odere sagen wir lieber „Psychotherapeutische Unterstützung“ kann hier sehr hilfreich sein. Eine professionelle Begleitung kann mich zu Veränderungen befähigen, die ich alleine nicht hinkriege.

Am Ende sollte dann das Ergebnis stehen, dass die Überzeugung „unmöglich“ ersetzt wurde durch die Überzeugung „machbar“ und die Energien, die bis dahin dafür verwendet wurden, sich selbst zu unterdrücken, nun dafür genutzt werden, sich selbst zu verwirklichen.

Kalkül

Letztendlich muss jede/r von uns die Entscheidung, wie er sein Leben leben will, für sich alleine treffen und verantworten.

Was ist besser? Das Risiko vermeiden und eine sich langsam aber stetig steigernde Menge Leid ertragen? Oder die eigenen Hypothesen auf die Probe stellen und Risiken eingehen?

Theoretisch ist die Kalkulation einfach. Das Risiko lohnt sich, wenn der erwartete Nutzen höher einzuschätzen ist, als das eingegangene Risiko, das sich wiederum durch seine Größe und Eintrittswahrscheinlichkeit abschätzen lässt.

Wie schon erwähnt, neigen Leute, die sich für das Verstecken entschieden haben, allein schon auf Grund des Faktums, dass sie sich dazu entschieden haben, dazu, das Risiko deutlich zu überschätzen. Das liegt daran, dass Leute, die etwas investieren, um sich zu schützen,praktisch gezwungen sind in einem viel höheren Maße an diese Bedrohung zu glauben.

Es geht nicht darum, dass ich die Gründe für die Angst wegdiskutieren will. Ich bestreite nicht, dass es Gründe gibt, Angst zu haben bzw. vorsichtig zu sein. Jedoch plädiere ich für eine nüchterne Abwägung.

Wie eine solche Abwägung aussehen kann, möchte ich an einem Beispiel darstellen.

Der Klassiker: das Erkanntwerden

Der Klassiker unter den Ängsten von uns Trannies ist wohl das Erkanntwerden. Dabei liefert das innere Katastrophenkino in etwas folgenden Film:
Die Familie, die nichts von Vaters Besonderheit weiß, ist weg. Unser Held nutzt die Gelegenheit, um ein wenig Heldin sein zu können. Auf dem Weg vom Wohnzimmer in die Küche (voll aufgedonnert, schlecht geschminkt, aber dafür auf hohen Hacken) öffnet sich unvermittelt die Wohnungstür und herein tritt die tratschsüchtige beste Freundin der Ehefrau, die von dieser in die vermeintlich leere Wohnung geschickt wurde, etwas Vergessenes zu holen. Ein Blick, ein leicht verzögertes Verstehen, rasanter Abgang.

Der Rest ist dann eine ungenaue Explosion mit den möglichen Bestandteilen Trennung, Demütigung, einsames Ende in einer heruntergekommenen Absteige. Jedenfalls geschehen ganz viele richtig üble Dinge.

Wenn man so denkt, dann ist ein Gang in die Öffentlichkeit in weiblicher Version ein pures Wahnsinnsunternehmen. Gleichzusetzen mit sozialem Selbstmord.

Das Problem zerlegen

Mir hat es geholfen, den ganzen Vorgang gedanklich in Teilschritte zu zerlegen, um zu einer (für mich) realistischeren Einschätzung zu kommen.

1. Jemand muss mich sehen (man kann durchaus als Frau unterwegs sein, ohne einer Menschenseele begegnen zu müssen)
2. Dieser Jemand muss erkennen, dass ich keine biologische Frau bin (bei meiner Körpergröße ist das erwartbar, wenn du bloß 1,75 m bist, dann vielleicht nicht so sehr)
3. Der Jemand muss mich als Mann kennen (in einer Großstadt ist diese Gefahr natürlich nicht so groß, wie in einem Dorf)
4. Er muss in der Trannie, die er sieht, mich als männliche Person erkennen (was meist nicht leicht ist, denn zwischen den beiden Versionen liegt bei vielen von uns doch eine große Differenz)
und es geht noch mal weiter! Dass ich als Individuum erkannt wurde heißt nämlich noch nicht, dass damit die Katastrophe schon stattfindet.
5. Es muss diesen Menschen interessieren. (Ich habe festgestellt, dass es Menschen gibt, denen egal ist, wie ich rumlaufe.)
6. Er muss etwas weiteres (negatives) mit der Information machen. Entweder selbst, wenn er Macht über mich hat, oder durch andere. Denen muss er es erzählen, die müssen es glauben und dann ihrerseits gegen mich benutzen.

Selbst dann, wenn praktisch alle Menschen, die mich kennen, über mich Bescheid wissen, heißt das immer noch nicht zwangsläufig, dass das auch negative Folgen für mich haben muss.

Nicht jeder Kieselstein löst eine Lawine aus. Die meisten bleiben nach kurzer Zeit einfach liegen.

Bedenken? Ja, viele!

Vorsichtige Naturen könnten jetzt anführen, dass meine Aufforderung etwas von „Beamtenmikado“ hat. Wer sich zuerst bewegt, hat verloren, denn er riskiert etwas und muss sich verändern. Wenn das genügend viele getan haben, hat sich für die, die erst mal in Deckung geblieben sind, das Feld so verändert, dass sie nun ganz ohne Risiko ins Licht können.

Das ist allerdings ein Trugschluss, weil die Individuen gerade davon profitieren, dass sie selbst ihre Einstellungen geändert haben! Sie mussten den Schritt gehen und erkennen, dass nicht die Welt, sondern ausschließlich sie selbst das Problem waren. Und diese Erkenntnis ist der wichtige Aspekt.
Näheres dazu findest du in dem Artikel Metabild.

Vorurteile …

sind ja bekanntermaßen realitätsfest. D.h. sie werden auch dann aufrechterhalten, wenn es Gegenbeispiele gibt. Wer also die Überzeugung hat, er könne (wegen seiner spezifischen Besonderheit, seinen Voraussetzungen, seiner familiären Lage, seiner Prominenz ….) nicht offener leben, der wird sich auch von den positiven Beispielen anderer nicht beeindrucken lassen. Der Mechanismus „das mag ja für andere gehen, aber für mich nicht“ mit beliebigen Begründungen unterlegt, wird immer funktionieren, egal wie viele Leute sich erfolgreich zu ihrer Besonderheit bekannt haben.

Die Bremer Stadtmusikanten

Der Grund, warum die Stadtmusikanten in dem Grimmschen Märchen losgezogen sind war einfach. sie hatten von ihrem alten Leben nichts mehr zu erwarten.

„Komm mit! Etwas besseres als den Tod finden wir überall!“ war das entscheidende Argument.
So ähnlich ist das auch für uns. Jedenfalls war es so für mich zu einem bestimmten Zeitpunkt meines Lebens. Ich musste etwas ändern, sonst wäre mir zwar nicht der Tod, aber doch bloß ein für mich nicht lebenswertes Leben geblieben. Ein Leben mit einer Besonderheit, deretwegen ich mich selbst hasste, in einer Welt voll von Menschen, die mich auch hassen oder verachten würden, wenn sie merkten, das ich ganz anders bin, als ich ihnen vorspielte. Ein Leben, in dem ich dauernd so tun musste, als wäre ich anders, als ich tatsächlich war.

Wenn du noch dauernd Bedenken hast und Einwände, dann hast du vielleicht noch zu viel zu verlieren. Dann musst du dich noch weiter quälen. Aber wenn du meinst, es geht nicht mehr, dann weißt du jetzt, dass es nur an dir allein liegt, die Situation zu ändern.

Es liegt in deiner Hand!

Also, liebe/r Leser/in im Versteck, habe ich abschließend eine gute und eine schlechte Nachricht für dich:

Zuerst die schlechte:
Du kannst auf nichts hoffen. Da wird sich nichts ändern an der Gesellschaft.
Die gute Nachricht ist:
Es liegt allein an dir! Du hast es in deiner Hand, dein Leben so zu gestalten, dass du nicht leiden musst.

Folgende Schritte musst du gehen:

  • 1. Falls du es nicht schon tust: lerne dich so gern zu haben wie du bist! Deine Besonderheit gehört zu dir, wie deine Augenfarbe. Also möge sie und dich.
  • 2. Verändere deine Einstellung zu den anderen Menschen. Sie sind nicht böse und haben in aller Regel keinen Grund dich anzugreifen.
  • 3. Stelle dich in kleinen Schritten deinen Ängsten. Probiere aus, ob sie dem Realitätstest standhalten.
  • 4. Willkommen in einem besseren Leben!

Du willst noch leben irgendwann, doch wenn nicht heute, wann denn dann?

Wolfsheim

Querverweise

Widmung

Dieser Artikel ist für M. Er hat mir mit seiner kritischen Art schon mehrfach Hinweise zu meinen Artikeln gegeben und diesen hier gäbe es ohne ihn überhaupt nicht.

© Jula 2008

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