Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.
UN-Menschenrechtscharta
Die rechtliche Gleichheit der Geschlechter ist historisch betrachtet eine neue Entwicklung. Und sie ist bei weitem noch nicht überall auf der Welt Realität. Auch in Deutschland war sie nicht einfach da. Die Einführung des Grundgesetzes im Jahr 1949 war ein wichtiger Schritt, aber er war nicht der letzte der notwendig war.
Die Meilensteine im 20. Jahrhundert auf dem Weg zu rechtlicher Gleichheit der Geschlechter in Deutschland möchte ich kurz präsentieren, damit deutlich wird, dass das, was uns heute selbstverständlich ist, noch in jüngerer Vergangenheit mühsam erkämpft werden musste.
1919 – Das Frauenwahlrecht
Die rechtliche Gleichstellung begann in Deutschland mit der Weimarer Republik, die das Wahlrecht für Frauen verankerte. Allerdings war es bis zu echter Gleichberechtigung immer noch ein weiter Weg. Denn Frauen durften zwar wählen, doch den Männern gleichgestellt waren sie bei weitem nicht.
Die rechtliche Gleichstellung der Frauen in Deutschland begann mit dem Grundgesetz. Doch es dauerte danach noch fast 30 Jahre bis die Festlegung der Verfassung tatsächlich vollständig umgesetzt wurde.
1949 – Artikel 3 Grundgesetz
Das Grundgesetz brachte einen echten Fortschritt. Anstelle der Formulierung aus der WRV „Männer und Frauen haben die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten“ wurde in das GG in Art. 3 Abs. 2 die Formulierung „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ aufgenommen.
Für naive Leser/innen wirkt das wie ein belangloser Streit um Worte. Doch das war es eben nicht. Der entscheidende Fortschritt dieser Formulierung bestand darin, dass es sich um eine unmittelbar geltende Verfassungsnorm handelte, nach der sich einfaches Gesetzesrecht richten musste. Das führte dazu, dass es erheblichen Widerstand gegen die Umformulierung gab.
Es ist das Verdienst von Elisabeth Selberts und fast ein Wunder, dass der aus heutiger Sicht so selbstverständliche Satz seinen Weg in das GG gefunden hat. Sie musste erhebliche Widerstände der Konservativen aber auch aus FDP und SPD überwinden.
So formulierte Carlo Schmid zum Beispiel im Hauptausschuss des Parlamentarischen Rats. „Es ist klar, dass die Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs, zum Beispiel die Bestimmungen, die die Frau in ihren Rechtshandlungen an gewisse Genehmigungen binden, nicht getroffen worden sind, um die Frau zu benachteiligen. Diese Bestimmungen sind getroffen worden, um die Frau zu schützen (…) und stellen eine Begünstigung dar; so wie es eine Begünstigung des Minderjährigen ist, dass das Gesetz verbietet, ihn an einer rechtsgeschäftlichen Willenserklärung festzuhalten, solange der Vater oder Vormund nicht zugestimmt hat.“
Erst nachdem Frau Selbert deutschlandweit die Frauenverbände mobilisiert hatte und von einer Rundreise „waschkörbeweise“ Eingaben, Solidaritätsadressen und Protestschreiben mitbrachte, stimmte der Hauptausschuss nach drei Ablehnungen am 18. Januar 1949, als die Gleichberechtigung zum vierten Mal auf der Tagesordnung stand, endlich zu.
Die Sprengkraft der Formulierung von Art. 3 bestand darin, dass viele Regelungen des BGB davon ausgingen, dass der Mann ein Bestimmungsrecht über die Frau hat. Das musste nun geändert werden.
1957 – Der Gehorsamsparagraph
Zunächst passierte gar nichts zur Umsetzung der Pflicht aus Artikel 3. Die Adenauer-Regierung ließ den dafür als Übergangsregelung im Artikel 117 gesetzten Termin 31. März 1953 tatenlos verstreichen. Adenauer versuchte sogar, die SPD-Fraktion im Bundestag zu einer Verfassungsänderung zu überreden. Zum Glück vergeblich.
Die Spitze des Eisbergs war der sog. „Gehorsamsparagraph“. So wurde der § 1354 des BGB in der Fassung vor dem 18. Juni 1957 bezeichnet, der dem Mann in einer Ehe das Recht zur Entscheidung aller das gemeinschaftliche eheliche Leben betreffenden Angelegenheiten zusprach. Der Paragraph, der seit 1900 im BGB stand, lautete:
„Dem Manne steht die Entscheidung in allen das gemeinschaftliche eheliche Leben betreffenden Angelegenheiten zu; er bestimmt insbesondere Wohnort und Wohnung. Die Frau ist nicht verpflichtet, der Entscheidung des Mannes Folge zu leisten, wenn sich die Entscheidung als Mißbrauch seines Rechts darstellt.“
Es ist offensichtlich, dass diese Norm in Widerspruch zu Artikel 3 stand. Nach langem Ringen zwischen den Parteien wurde der § 1354 schließlich am 18. Juni 1957 ersatzlos gestrichen.
1958 – Das Gleichberechtigungsgesetz
Das Gleichberechtigungsgesetz trat am 1. Juli 1958 in Kraft. Es sollte endlich das einfache Gesetzesrecht, insbesondere das BGB so verändern, dass es nicht mehr im Widerspruch zu Art. 3 GG stand. Mit ihm wurden die wesentlichen, jedoch nicht alle Ungleichheiten beseitigt:
- Das Letztentscheidungsrecht des Ehemanns in allen Eheangelegenheiten wird ersatzlos gestrichen.
- Das Recht des Ehemanns, einen Arbeitsvertrag seiner Frau fristlos zu kündigen, wird aufgehoben.
- Frauen dürfen ihr in die Ehe eingebrachtes Vermögen selbst verwalten. Bis dahin durften die Frauen zwar über eigenes Einkommen aus der Erwerbstätigkeit verfügen, aber die Männer hatten das Verfügungsrecht über das sonstige Vermögen ihrer Frauen.
- Die Frau hat das Recht, nach ihrer Heirat ihren Geburtsnamen als Namenszusatz zu führen.
- Die väterlichen Vorrechte bei der Kindererziehung wurden auf das Privileg eines so genannten Stichentscheids eingeschränkt, welcher dem Vater bei Streitigkeiten in Erziehungsfragen das Entscheidungsrecht gab.
Dagegen klagte der Deutsche Juristinnenbund vor dem Bundesverfassungsgericht, das 1959 die Passage über den Stichentscheid für verfassungswidrig und nichtig erklärte.
1977 – Das Eherechtsreformgesetz
Das Eherechtsreformgesetz war der letzte Schritt zur vollständigen rechtlichen Gleichstellung. Erst mit ihm wurde das bis dahin noch gültige Modell der Hausfrauenehe abgeschafft.
Die Verteilung der Aufgaben zwischen Ehepartnern war im BGB noch so geregelt, wie man das 1900 beim Inkrafttreten des Gesetzes geschrieben hatte. Danach war der Mann für den finanziellen Unterhalt der Familie zuständig, während die Frau für die Haushaltsführung und Kindererziehung verantwortlich war. Die Ehefrau durfte nur dann berufstätig sein, wenn dies mit den Interessen der Familie und des Ehemannes vereinbar war. Die entsprechenden Reglungen des BGB waren:
§ 1356 (1)
Die Frau führt den Haushalt in eigener Verantwortung. Sie ist berechtigt, erwerbstätig zu sein, soweit dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie zu vereinbaren ist.
§ 1360
Die Ehegatten sind einander verpflichtet, durch ihre Arbeit und mit ihrem Vermögen die Familie angemessen zu unterhalten. Die Frau erfüllt ihre Verpflichtung, durch Arbeit zum Unterhalt der Familie beizutragen, in der Regel durch die Führung des Haushalts; zu einer Erwerbsarbeit ist sie nur verpflichtet, soweit die Arbeitskraft des Mannes und die Einkünfte der Ehegatten zum Unterhalt der Familie nicht ausreichen. (…)
Nach dem Gleichberechtigungsgesetz 1958, das diese Regelungen nicht angetastet hatte, gab es bei Arbeitsverträgen von Frauen einen Widerspruch. Zwar durfte der Mann den Arbeitsvertrag nicht mehr fristlos kündigen, doch Frauen brauchten immer noch die Genehmigung ihres Mannes, wenn sie einen Arbeitsvertrag schließen wollten.
Diese Zustimmungspflicht des Ehemannes im Falle einer Erwerbstätigkeit der Frau wurde aufgehoben.
Und heute?
Die rechtliche Gleichstellung von Frauen und Männern ist erreicht. Doch das Recht ist das Eine und gesellschaftliche Realität etwas anderes. Noch heute, mehr als 50 Jahre nach Inkrafttreten des Grundgesetzes gibt es Diskriminierungen und Schlechterstellungen von Frauen. Es gibt in Deutschland weniger Frauen in Führungspositionen und Frauen verdienen immer noch weniger Geld als Männer.
Näheres dazu: Gender Pay Gap
- Was davor geschah: Gleichberechtigung – die Ursprünge
- Der nächste Kampf: Ehe für alle
© Jula Böge 2015