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Der Philosoph jenseits der Geschlechter

  • von

(The Transgendered Philosopher)

Vielen Dank an Miqqi Alicia Gilbert, mit deren freundlicher Erlaubnis ich den folgenden Text in einer deutschen Version veröffentlichen darf. Die Mischung aus kluger Analyse und politischem Anspruch macht den Text unglaublich lesenswert.

Professor Miqqi Alicia Gilbert,
Department of Philosophy, York University, Toronto, Canada

1. Der Begriff „Crossdresser“

1.1 Das Transgender-Kontinuum

Begriffe spielen eine große Rolle im Leben der Transgender-Gemeinschaft. Die Gemeinschaft selbst wird durch ihre Begriffe geschaffen, die Identifikation stiften. Zunächst ist es eine Zeichen von Abweichung, wenn man überhaupt mit einer eigenen Bezeichnung benannt wird. Das Normale bekommt nie einen eigenen Begriff, nur die Abweichungen von der Norm werden gekennzeichnet. Es ist wie mit Gerüchen. Niemand sagt etwas, wenn da kein Geruch ist, aber es wird angemerkt, wenn etwas riecht. Riechst du etwas? Natürlich, wir riechen immer etwas, doch üblicherweise bemerken wir das nicht und so, ohne als „guter Geruch” oder „schlechter Geruch” gekennzeichnet zu werden, bleibt es unbenannt, normal eben. Weil Begriffe von außen kommen und aus diesem Grund bemerkenswerte politische, medizinische und soziale Kraft haben und weil es die persönliche Identifikation eines Individuums ebenso betrifft wie seinen Platz in der Transgender-Gemeinschaft kann die Richtigkeit und Passgenauigkeit eines Begriffs sehr bedeutungsvoll sein.

An dieser Stelle müssen wir ein übliches Phänomen erwähnen, das immer in unserer gegenwärtigen Gesellschaft auftritt, wenn eine externe Begriffsbildung stattfindet: Die Diskussion und Aneignung des Begriffes durch die so bezeichnete Gruppe. Damit meine ich, dass die bezeichnete Gruppe anfängt über den Begriff nachzudenken und festzulegen, wie er genau lauten soll und wer denn damit richtigerweise bezeichnet wird. Das gehört untrennbar zusammen, weil die organisierte Gruppe der rechtmäßige Verwalter der Legitimation des Begriffes ist. Ein offensichtliches Beispiel für diesen Effekt ist der Wandel von „Neger“ zu „Afro-Amerikaner“, ein anderes, das uns näherliegend ist, der Wandel von „Hermaphroditen“ zu „Intersexuellen“.

Doch der grundlegende Aspekt an diesem Prozess der Begriffsbildung ist, dass, obwohl er überwiegend durch die bezeichnete Gruppe selbst geleitet wird, niemals in Frage gestellt wird, dass es die Begriffsbildung überhaupt braucht. Wenn man akzeptiert, dass man zwischen der Bezeichnung Schwarze oder Afro-Amerikaner wählen muss, akzeptiert man zuvor schon, dass es sich um eine separate, von der Norm abweichende Gruppe handelt, die über einen Begriff identifiziert werden muss. Und diese Identifikation hat den Zweck, dass diese Gruppe der Gegenstand eines Diskurses sein kann. Über nicht existierende Gerüche brauchen wir nicht zu sprechen.

Wenn man die Selbstverständlichkeit des zweigeschlechtlichen Systems bedenkt, überrascht es nicht, dass diejenigen, die seine Regeln verletzen, identifiziert und stigmatisiert werden. Anfänglich gab es zwei Basisbegriffe – Transvestit und Transsexueller – die genutzt wurden, um die gesamte Spannbreite der Menschen mit abweichender Geschlechtsidentität abzudecken. In neuerer Zeit kam es zu feineren Klassifikationen die den Status des Einzelnen in der Gruppe genauer abbilden sollten. Das gibt es prä- und postoperative und nichtoperierte Transsexuelle, Transgender, „Butches“ und Frauen und und und. Innerhalb der Gemeinschaft gibt es oft hitzige Debatten, wer in welche Gruppe gehört, wer sich wie bezeichnen darf, wer wirklich so ist und wer nur so tut. Stell dir vor, dass eine Randgruppe innerhalb ihrer selbst genau das gleiche macht wie die sozialen Institutionen, die sie zur Randgruppe gemacht haben. Der Begriff „Transgender“ wurde in diesem Morast zu einem Indikator der Mitgliedschaft in der einen oder anderen dieser Gruppen, die insgesamt unter dem Gesichtspunkt der abweichenden Geschlechtsidentität gefasst werden können. Innerhalb der Gruppen bzw. unter ihnen geht der Streit natürlich weiter. Während der Begriff und seine vage Ideologie zunächst begeistert begrüßt wurde, dauerte es nicht lange, bis auch Unzufriedenheit auftauchte. Die fehlende Klarheit, sein weiter Gebrauch und, das wichtigste, die Zurückweisung des Begriff „Transgender“ weil damit ja eine legitime Geschlechtszugehörigkeit für diejenigen verweigert wird, die sich selbst eben nicht als Trans-Irgendwas sehen, sondern als prinzipiell fehlidentifiziert.

Wenn man all das berücksichtigt, ist die Frage, was ich meine, wenn ich „Transgender“ sage, wichtig und ich kann schon im voraus garantieren, dass was immer ich auch sage, bestritten werden wird und einige Gruppen, Untergruppen oder Individuen verärgern wird. Ich denke, der Begriff ist bedeutungsvoll und, was mehr ist, wichtig. Ich neige auch dazu, mit meiner Definition ein wenig opportunistisch zu sein – je größer die bezeichnete Gruppe, desto mehr politischen Einfluss hat sie; Menge macht stark. Ich möchte auch eine einfache Bezeichnung nehmen, die eine große Gruppe umfasst und nicht in Konflikt mit medizinischen Fachbegriffen gerät. Also, meine einfache Definition von „Transgender“ ist:
Ein/e Transgender ist eine Person, die immer oder zumindest manchmal ein gewisses Unbehagen im Hinblick auf ihr zugewiesenes Geburtsgeschlecht fühlt.

Beachte zunächst, dass es sich hier um einen selbst-evaluativen Begriff handelt und nicht um eine extern zugewiesene Kategorie. Das heißt, dass jemand selbst an einem bestimmten Punkt entscheidet, dass ein bestimmter auf Grund der Geburt zugewiesener Standort, für ihn entweder inadäquat, unpassend, zu einschränkend oder schlicht falsch ist, um seine eigene Geschlechtsidentität zu beschreiben. Außerdem sollte dir auffallen, dass nicht jeder, der mit den Geschlechtsrollen spielt auch ein/e Transgender ist. Das ist dann nicht der Fall, wenn das Verkleiden seine Ursachen nicht in Unbehagen hat, sondern vielleicht in beruflichen Erfordernissen, Sexspielen, Spaß am Verkleiden oder was auch immer. Und schließlich ist wichtig, dass es nicht nötig ist, dass sich das Unbehagen irgendwie im Verhalten auswirkt, um Transgender zu sein. Es reicht, das Unbehagen zu fühlen. Wie man dann damit umgeht, führt zu feineren Klassifizierungen. Es kann also gut sein, dass jemand Transgender ist und niemand es je bemerkt.

Nachdem wir jetzt eine Menge Zeit mit Begrifflichkeiten zugebracht haben, möchte ich klarstellen, dass das für mich eigentlich nicht so wichtig ist. Egal wie vorsichtig und sorgfältig wir intern Begriffe definieren, die uns speziell bezeichnen und als Typus existieren lassen, letztendlich werden wir immer von außen, von gesellschaftlichen und politischen Gruppen klassifiziert, die ihre eigenen Ziele und Bedürfnisse haben. Und jetzt, statt weiter im Bereich der Terminologien zu bleiben, nehme ich meine einfache Definition und erforsche eine spezielle Gruppe, um genau zu sein die spezielle Gruppe, in die ich mich selbst einordne. Mit anderen Worten: Schluss mit der Theorie, jetzt rede ich von mir. Aber trotzdem sollte immer in Erinnerung bleiben, dass die Spannbreite bei Transgendern, so wie ich den Begriff gebrauche, von lebenslangen Transsexuellen, die schon im Alter von drei Jahren als solche erkannt wurden, über meine eigene Gruppe, die engagierten Crossdresser, bis hin zum gelegentlichen Träger von weiblicher Wäsche reicht, der sich seiner Situation nicht mal selbst bewusst ist und in totaler Isolation agiert.

1.2 Der Crossdresser

Im Fokus dieses Aufsatzes liegt nicht die komplette Spannbreite von Transgendern, sondern eine Untergruppe, meine Untergruppe, der engagierte Crossdresser. Das ist ein Begriff, den ich erst definieren muss. Die Frage, wo diese Untergruppe innerhalb des großen Stammes der Transgender lebt, wird schnell klar werden. Doch es muss von Anfang an deutlich sein, dass nicht jede/r Transgender ein Crossdresser ist. Es gibt Transsexuelle, die sich dem anderen Geschlecht zugehörig fühlen, aber niemals in ihrem Leben entsprechend agieren oder gar die Kleidung des anderen Geschlechts getragen haben. Es gibt auch viele Transsexuelle, die die Kleidung ihres Zielgeschlechts gar nicht als andere empfinden, sondern eben als die richtige für sie. Sie sind keine Crossdresser. Ich sollte vielleicht hinzufügen, dass während ich über den Crossdresser als einen geborenen Mann spreche, ich ebenso daran glaube, dass es ebenso weibliche Crossdresser gibt, die ich hier nicht ausnehmen möchte. Vieles von dem was ich sage, trifft auch auf sie zu, doch da bin ich eben kein Experte. Deshalb bitte ich um Nachsicht.

Also, was ist ein Crossdresser? Um mit dem „einfachen“ Crossdresser zu beginnen, handelt es sich um eine Person, die eine scheinbare Identifikation mit einem Geschlecht hat und die zweifelsfrei zu einem bestimmten geburtsbestimmten Geschlecht gehört, aber die Kleidung des anderen Geschlechtes trägt, eben weil es die Kleidung des anderen Geschlechtes ist. Ich habe diese Worte kursiv gesetzt, weil darüber alle ausgeschlossen werden, die die Kleidung des anderen Geschlechts aus anderen Gründen tragen. Dazu gehören z.B. Frauen, die Männerhemden aus modischen Gründen oder wegen der Bequemlichkeit tragen, oder auch Schauspieler, die Frauenkleidung für ihre Rolle benötigen.

Viele Frauen tragen manchmal oder sogar oft Kleidung, die, wenn sie ein Mann tragen würde, diesem vollkommen angemessen wäre (zugestanden sind hier unterschiedliche Schnitte usw.). wie auch immer, diese Frauen sind keine Crossdresser, weder in ihren eigenen noch in den Augen der Gesellschaft. In unserer Kultur, ist das Tragen von männlich geschnittener Kleidung durch Frauen im großen und ganzen keine Verletzung der Geschlechterregeln. Tatsächlich hat die massive Adaption von Hosen durch die Frauen dazu geführt, dass es mittlerweile die Unterscheidung zwischen Hosen für Frauen und solchen für Männer gibt. Und es gibt spezifische Charakteristika für diejenigen, die die feinen Unterscheide beachten. Es gibt aber auch Kleidung, z.B. Jeans und Sweatshirts, bei der kaum ein Unterschied auszumachen ist. Doch selbst Frauen, die solche Kleidung tragen, werden von niemandem für Crossdresser gehalten. Aus einem Grund fallen sie typischerweise durch den Unterhosen-Test2): sie tragen keine männliche Unterwäsche! Oder, falls sie es doch tun, dann eben nicht weil es männliche Wäsche ist, sondern weil sie wärmer oder haltbarer ist. Ich behaupte nicht, dass Frauen, die ausschließlich Männerkleidung tragen, keine Missbilligung erfahren, denn das ist durchaus der Fall. Doch dabei geht es üblicherweise nicht darum, dass sie Männerkleidung anhaben, sondern dass sie es versäumen, ausreichend weiblich zu sein.

Crossdresser sagen häufig, dass sie neidisch auf die Möglichkeit von Frauen sind, tragen zu können was immer man möchte und einem gefällt. Warum, so wird gefragt, dürfen Frauen ohne Einschränkungen männliche Kleidung tragen, während Männer umgekehrt das nicht dürfen. Diese Frage geht am eigentlichen Problem des Crossdressing vorbei: Es geht nicht um Bequemlichkeit oder Stil, es geht um Geschlecht und dessen Darstellung. Frauen tragen häufig, aber eben nicht immer, männliche Kleidung wegen der Mode oder weil sie bequem ist, aber nicht weil es Männerkleidung ist. Sicher gibt es Ausnahmen, und diese Ausnahmen durchleben oft den selben Kummer wie männliche Crossdresser.

Die andere Gruppe, die durch unseren Unterhosen-Test ausgeschlossen werden kann, sind diejenigen die die Kleidung des anderen Geschlechtes tragen, weil sie damit ihren Lebensunterhalt bestreiten, also Travestiestars, Schauspieler. Diese Leute tragen zwar die Kleidung des anderen Geschlechts, sind aber keine Crossdresser, denn sie wiederum tragen männliche Unterwäsche.

Außerdem möchte ich die Crossdresser, die weit überwiegend heterosexuell (aber auch nicht selten bisexuell, insbesondere wenn fantastischer Sex in Aussicht steht) sind, von einer weiteren Gruppe unterscheiden, den schwulen Dragqueens. Dieser Typ ist durch seine Medienpräsenz sehr bekannt. Ich erinnere an Filme wie Wigstock, Priscilla Queen of the Desert, To Wong Foo und andere. Typischerweise ist eine Dragqueen gerissen und gemein und erhebt schwules Schlampentum zur Kunst. Ebensooft ist ihre Aufmachung bizarr und übertrieben und versucht durch Übertreibung weibliche Eleganz zu karikieren und mit dem weiten Feld der Geschlechtsmerkmale zu spielen. Einige von ihnen mögen auch Crossdresser sein, doch es gibt keinen notwendigen Zusammenhang zwischen beiden Gruppen. Auch wenn ihre Rolle sehr wichtig dafür ist, wie in unserer Gesellschaft Geschlechtsrollen konstruiert und verändert werden, so sind sie hier doch nicht mein Thema. (Vide Butler, 1991 and Garber, 1992.)

Nochmals, um nicht zu viel Zeit auf Begrifflichkeiten zu verschwenden, denn gibt es noch mehr Grenzlinien und verwirrende Fälle, der typische Crossdresser ist eine Person, die ganz oder teilweise als Person des anderen (also nicht des bei Geburt zugewiesenen) Geschlechts erscheinen möchte, das bedeutet, dass die Wahl der Kleidung keine modische Frage ist. Crossdresser haben auch nicht nur ein einzelnes Motiv, sondern es gibt ein ganzes Bündel. Manchmal ist die treibende Kraft ein erotisches Gefühl, das mit dem Anziehen von Frauenkleidung anschwillt (sozusagen). Dann wiederum ist es die Erscheinung des Crossdressers, das Wie-eine-Frau-Aussehen, die im Mittelpunkt steht, während andere wiederum meinen, dass ein spezielles Gefühl, nicht primär erotisch, das Ziel des Verlangens ist. Und tatsächlich können sich diese Motive mischen oder auch ablösen und ersetzen im Leben eines Crossdressers oder auch nur in einer einzelnen Episode des Crossdressing.

Es ist wichtig festzustellen, dass zumindest manchmal und/oder für die meisten Personen es das Gefühl ist, dass die Kleidung hervorruft, mehr als die Erscheinung die sie erzeugt, das vorrangig ist. Vielleicht ist die Erscheinung eine bloße Hilfe um dieses spezielle Gefühl zu erzeugen. Dies ermöglicht, je nach den Umständen auch Alternativen zur vollen Verwandlung. Damit meine ich, dass ein Crossdresser manchmal, speziell wenn er nicht in die Öffentlichkeit geht, zwar Frauenkleidung trägt, aber z.B. keine Perücke oder kein Make-Up und doch mit seinem Status an Weiblichkeit zufrieden ist, weil das Gefühl das die Kleidung erzeugt ausreichend ist. Alternativ dazu geht er vielleicht aus und trägt weibliche Wäsche unter seiner männlichen Kleidung, was niemand bemerken kann. Beide Optionen werden gesteuert von dem Wunsch nach einem Gefühl erhöhter Weiblichkeit unabhängig von dem Versuch, tatsächlich wie eine Frau auszusehen. Kurz gesagt gibt es viele Arten, auf die sich ein Crossdresser kleiden kann oder die es ihm ermöglichen feminin zu sein, die weit entfernt von der kompletten Verwandlung sind. Ich hebe das hier heraus, weil es zeigt, dass es viele Ursachen, Triebkräfte und Wünsche gibt, die einen konkreten Crossdresser antreiben.

2. Der „engagierte“ Crossdresser

2.1 Die Definition

Anfangs habe ich schon gesagt, dass ich ein „engagierter“ Crossdresser bin. Das ist ein Begriff, den ich jetzt schon eine Reihe von Jahren verwende. Das Wort „engagiert“ umfasst für mich zwei grundlegende Aspekte. Der erste betrifft die eigene Identität, der zweite bezieht sich darauf, dass man das was man tut bewusst und in reflektierter Kenntnis der Geschlechtsrollen tut. Unglücklicherweise treten diese beiden Aspekte oft erst sehr spät im Leben des einzelnen Crossdressers auf, wenn sie es überhaupt tun. Dass das erst so spät geschieht, hat verschiedene Gründe und ändert sich aktuell glücklicherweise. Um zu verstehen was „engagiert“ bedeutet und warum es so schwierig ist, es zu werden, müssen wir einen Blick auf das Leben eines typischen Crossdressers werfen.

Geschlecht ist in unserer Kultur eine ausdrücklich bipolare Angelegenheit. Das heißt, es gibt zwei sozial anerkannte Geschlechter, Männer und Frauen, und von jedem einzelnen Individuum in unserer Gesellschaft wird erwartet, dass es sich ordentlich in eine der beiden Kategorien einordnet. Natürlich macht das nicht jeder, doch diejenigen die sich verweigern, zahlen dafür in Folge der vielfältigen Mechanismen sozialer Kontrolle einen Preis: Spott, Ausgrenzung, Diskriminierung, rechtliche und soziale Verfolgung, Verstümmelung, Isolation, Schikane oder sogar Tod. Das bipolare Geschlechtssystem ist nicht bloß ein kulturelles Phänomen, das von einer Vielzahl von gesellschaftlichen Sitten, Gebräuchen und Institutionen geschützt wird. Es ist darüber hinaus auch eine geschützte staatliche Einrichtung. So ist es zum Beispiel, so weit ich weiß, immer noch in den meisten US-Staaten erlaubt, jemanden zu diskriminieren, der die Geschlechtergrenzen überschreitet. Das stimmt mit der Sicht des Obersten Gerichtshofes überein4). Ferner wird die Erwartung, dass jemand sich in sein geburtsgegebenes Geschlecht einfügt und entsprechend verhält, von Geburt an laut und klar artikuliert, wenn es nicht schon vor der Geburt beginnt, falls das Geschlecht des Fötus bekannt ist. Tatsächlich ist es so, dass bei intersexuellen Neugeborenen vom Arzt ein Geschlecht gewählt wird. Also selbst wenn ein menschliches Wesen nicht geschlechtsklassifiziert werden kann, wird dieses Kind operativ angepasst, damit es gewählten Geschlechtsnormen entspricht und es wird dann von ihm erwartet, dass es sich von da an diesen Standards entsprechend entwickelt.

Dieses Verfahren wird mittlerweile, zum Glück, heftig angegriffen, doch es ist ein mühseliger Kampf. Familie, Medien und die Masse von sozialen Institutionen, sie alle beschränken die Wahlfreiheit dahingehend, dass du ein kleiner Junge bist, wenn du einen Penis hast, oder ein kleines Mädchen, wenn du eine Vagina hast. Wenn du die klare Entscheidung für die eine oder andere Seite verweigerst, dann läuft die medizinische Maschine an und bringt dich durch entsprechende Interventionen in Übereinstimmung mit den üblichen Standards.

Wenn ein Kind erst einmal in eine Geschlechtskategorie eingeordnet ist, dann gibt es kein zurück mehr. Die Grenzen für das entsprechende Verhalten sind klar und werden den Kindern sofort beigebracht. Diese Grenzen zu überschreiten kann speziell für kleine Jungen harte Konsequenzen haben, die häufig auch darin bestehen, dass der Betroffene in sehr jungen Jahren schon dem psycho-medizinischen Establishment ausgeliefert wird. Kleine Mädchen haben mehr Spielraum – es ist besser ein Wildfang5) zu sein als ein mädchenhafter Junge6). In meinen Grundkursveranstaltungen über Geschlecht und Sexualität geben typischerweise 50-60 % der Frauen an, als Kinder ein Wildfang gewesen zu sein. Doch üblicherweise behauptet nicht ein einziger Mann, als Kind mädchenhaft gewesen zu sein. Doch das heißt nicht, dass Mädchen, die die Geschlechtergrenzen verletzen, damit keinerlei Probleme hätten. Auch sie können zu weit gehen. Wenn sie da nicht „rauswachsen“, wenn sie in ein angemessenes Alter kommen, wenn sie sich generell weigern, die kleine Süße zu sein oder ein Kleid für Tante Kate anzuziehen, dann drohen ihnen Konsequenzen. Die Regeln mögen für Mädchen freier sein, doch sie sind trotzdem da.

Stellen wir uns jetzt eine junge Transgender-Person vor. Nehmen wir, um es persönlicher zu machen, einen kleinen Jungen. Der beobachtet die Welt um sich herum und identifiziert sich mit kleinen Mädchen ebensosehr oder vielleicht sogar mehr als mit kleinen Jungen. Das führt zumindest ab und zu dazu, dass der Junge sich wünscht, mehr wie die Mädchen zu sein, die er sieht. Typischerweise für einen Crossdresser wird er nicht sehr jung sein, sondern eher an der Schwelle zur Pubertät. Während Transsexuelle oft schon mit drei Jahren entsprechende Gefühle haben oder von anderen so eingeschätzt werden, spüren Crossdresser eher ein vages Unbehagen und unangebrachte Wünsche, während das Crossdressing selbst erst mit der Pubertät beginnt. Manche berichten, dass Mädchensachen sie schon von klein an angezogen haben und es gibt einige, die eine wunderliche Identifikation mit Mädchen haben, doch es ist üblicherweise der Beginn der Pubertät, mit dem ein Knopf an die Sache kommt. Mit anderen Worten erreicht unser junger Geschlechts-Rebell die Schwelle genau zu dem Zeitpunkt, zu dem sich die Pfade der Geschlechter mehr und mehr auseinanderbewegen und unterschiedliche Wege der sozialen Identifikation genommen werden müssen.

Was geschieht nun mit unserem Jungen? Nun, er lernt sehr schnell, dass er seine Wünsche geheim halten muss. Sein Verhalten und seine Eigenheiten werden beobachtet und korrigiert, wenn er die Geschlechterregeln verletzt. Er lernt die Gefühle, etwas falsches zu tun, zu sublimieren und oft, wenn er Mädchen beobachtet, beneidet er sie und möchte bei ihnen sein, doch er verbringt die meiste Zeit in der Gesellschaft anderer Jungen. Er spielt vielleicht mehr mit Mädchen als andere Jungen, vielleicht aber auch nicht. Es geht tatsächlich nicht so sehr um die physikalische Zeit, die er im Spiel mit Jungen oder Mädchen verbringt, sondern darum was dabei in seinem Kopf vorgeht. Auf welche Botschaften achtet er? Überlegen wir in diesem Sinne mal, was in der Sozialisation eines Jungen passiert, der sich mehr oder weniger mit Mädchen identifiziert. Speziell in unserer medienüberfluteten Welt ist es da für einen kleinen Jungen (oder auch ein kleines Mädchen) nicht möglich, sich auf die Sozialisationsbotschaften zu fokussieren, die für Mädchen gegeben werden? Auf diese Weise kann ein Junge, der sich mit dem anderen Geschlecht identifiziert, viele oder alle Regeln aufnehmen, die für die soziale Identifikation von Mädchen gedacht sind. Ich überlasse diese Frage meinen Kollegen von der Psychologie und Soziologie, doch ich möchte festhalten, dass viele, wenn auch nicht alle Programme zur Sozialisation wahlfrei zur Verfügung stehen. Das ist einerseits sinnvoll und stimmt andererseits mit autobiographischen Berichten von sehr früh gestarteten Transsexuellen überein. Also warum sollte man ein junger Transgender, der nicht transsexuell ist, nicht ebenso auf die Botschaften aus der Welt das anderen Geschlechts achten, die ihm zur Verfügung stehen.

Zu diesem Zeitpunkt, zu dem der junge Crossdresser noch kein auffälliges andersgeschlechtliches Verhalten gezeigt hat, etwa mit dem Ausbruch der Pubertät, wenn nicht schon vorher, wird er anfangen Frauenkleidung zu tragen, die üblicherweise seiner Schwester oder Mutter gehört. Er wird nicht wissen, warum er es tut, doch er wird wissen, dass er etwas Verbotenes tut. Er erfüllt sich vielleicht einen Wunschtraum oder erforscht eine wunderliche Vorstellung oder er agiert ohne besonderen Grund einfach einen Zwang aus. Tatsächlich machen das viele Kinder, aber wenn der Crossdresser es tut, dann wird er sich sehr glücklich fühlen oder erregt oder beides. Hat er es einmal getan, dann gibt es kein zurück mehr. Etwas rastet ein, eine Euphorie, ein Gefühl von Richtigkeit überkommt ihn. Fast jeder Mann trägt in seinem Leben irgendwann mal das eine oder andere weibliche Kleidungsstück, doch wenn ein Crossdresser es tut, dann ändert sich alles – sein Leben wird nie mehr das gleiche sein, denn er weiß sofort, dass er es wieder tun wird.

Der Crossdresser ist geboren. Der Junge hat entdeckt, welche starke Anziehungskraft das Tragen von Frauenkleidung auf ihn hat. Auf der einen Seite ist er erfreut, weil er eine neue Form erotischen Genusses gefunden hat, aber die Entdeckung führt ihn auch in große Bedrängnis, weil er glaubt, er sei der einzige auf der Welt, der sich dieser verbotenen Aktivität hingibt. Das steigert sein Gefühl der Isolation, anders zu sein und verstärkt so seine Geschlechtsverwirrung. Das kann dazu führen, dass er ein Einzelgänger wird, der überwiegend Kontakt zu Mädchen sucht, es kann aber genauso maskuline Überkompensation zur Folge haben. In seinem Bestreben, sich wie ein richtiger Junge zu fühlen, kann es sein, dass er sich auf Sport und andere männliche Aktivitäten stürzt, aber andererseits muss das auch nicht so sein. Es gibt nach meiner Erfahrung kein eindeutiges Muster. Es gibt Crossdresser, auf der Suche nach der schwer fassbaren Erklärung, ihre Hinwendung zum Weiblichen mit einer Flucht vor dem Druck der kompetetiven männlichen Sportarten und dem ständigen Eingebundensein in machtorientierte Hierarchien erklären. Es gibt ab er auch viele Crossdresser, die Sport lieben und auch als Erwachsene noch an Wettkämpfen teilnehmen und es gibt auch solche, die im Berufsleben sehr aggressiv sind. Wenn alle Crossdresser mädchenhafte Jungen gewesen sind, dann haben es einige sehr gut versteckt.

Auf jeden Fall steht fest, wenn man es einmal begonnen hat, gibt es keinen Weg mehr zurück. Der fetischistische Aspekt, die erotisierende Wirkung weiblicher Kleidung ist eine dauerhafte Verbindung. Plötzlich wird das „andere Geschlecht“ mit neuen Augen gesehen, Augen in denen sich viel von dem normalen pubertären Erkennen von Mädchen als sexuellen Wesen wiederspiegelt, aber auch ein Begehren, eine Faszination die ebenso von ihrer Kleidung ausgeht wie von den Mädchen selbst. Diese Anziehungskraft, die das Tragen der Kleidung des anderen Geschlechtes hat, wird nie mehr vergehen, selbst wenn sie gelegentlich sogar für sehr lange Zeiträume unterdrückt wird. Und, wenn unser junger Crossdresser langsam zum Mann wird, steigern sich die Bedürfnisse typischerweise im Laufe der Zeit ebenso wie die Möglichkeiten sie auszudrücken. Manchmal stimmt das nicht, so wenn der Mann zum Militär muss oder in einem bevölkerten Studentenwohnheim haust. Was auch immer mit dem Begehren im Laufe des Lebens geschieht, es verschwindet nicht durch die Unmöglichkeit es auszuleben. Gelegentlich bringt sich ein Crossdresser (oder Transsexueller) sogar absichtlich selbst in eine Lage, wo es schwierig ist sich auszuleben, in einem Versuch das Crossdressing zu ersticken und zu bezwingen.

In dieser Phase sind die Muster recht ähnlich, doch jetzt kommen wir an eine Stelle, wo die Wege auseinanderzulaufen beginnen.

Wie es mit dem Crossdresser von nun an weitergeht, und ich erinnere daran, dass meine primäre Zielgruppe der männliche, heterosexuelle Crossdresser ist, hängt ab von der individuellen Persönlichkeit, Intelligenz, Selbstreflektion und Möglichkeiten. Die beiden Aspekte mit denenich mich befasse, Selbstverständnis und Selbstbetrachtung, lassen sich nicht sauber voneinander trennen, doch möchte ich sie trotzdem getrennt behandeln.

2.2 Das Selbstverständnis

Der heterosexuelle Crossdresser hat in seinem Leben viel Zeit damit verbracht, Erfahrungen mit Scham und Isolation zu sammeln. Für lange Zeit, vielleicht für immer war er davon überzeugt, dass er der einzige Mann auf der Welt ist, der auf Frauenkleidung abfährt. Das ist nichts, was du anderen Leuten einfach so mitteilst. Es ist etwas, das verlacht wird und wer so was tut, der ist eine Tunte oder eine Schwuchtel, aber jedenfalls kein richtiger Mann. Die Isolation, die durch Scham und Schuldgefühle hervorgerufen wird, ist oft so streng, dass kein anderer Mensch auf der Welt von seinem Zwang weiß. Da ist niemand, mit dem man drüber reden kann, niemand um es zu teilen, kein Mentor, von dem man lernen könnte und schon gar keine Rollenvorbilder, die man nachahmen könnte. Selbst wenn häufig ein wichtiger Mensch im Leben es mitbekommt, so heißt das noch lange nicht, dass das emotionale Unterstützung oder gar eine Steigerung des Selbstvertrauens bewirken würde. Im Gegenteil, die Reaktionen von Ehefrauen reichen von Schock und Überraschung bis hin zu totaler Verleugnung und der Forderung, den Aktivitäten weiter in totaler Isolation nachzugehen. Das beinhaltet auch die „bewusste Blindheit – tu es, aber ich werde so tun, also ob da nichts wäre. Stell dir vor, wie isolierend und beschämend eine solche Antwort ist. Eine andere übliche Reaktion ist eine Form von „Toleranz“: „Tu was du willst“ sagt seine Frau; „aber lass mich damit in Ruhe.“ Wenn der Crossdresser Glück hat, weitet sich die Toleranz dahingehend aus, dass er von zu Hause aus als Frau weggehen und als Frau dorthin zurück kann. Für die ganz Glücklichen kann das sogar soweit gehen, dass sie gelegentlich bei Kleidungs- und Makeupfragen unterstützt werden. Die Gründe für den Widerstand von Ehefrauen sind komplex und überwiegend nachvollziehbar – diese Frauen sind heterosexuell und fühlen sich von Männern angezogen. Je besser nun ihre Männer die weibliche Rolle adaptieren, um so weniger sexuell attraktiv werden sie. Doch so viel Verständnis man für die Probleme eines nahen Angehörigen auch haben mag, das hilft dem Crossdresser kein bisschen, der ein großes Risiko eingeht, wenn er ein demütigendes Geheimnis mit seinem Partner teilt.

Aber irgendwie, auf irgendeine Weise, gibt es für einige von uns einen Wechsel, ein Ereignis oder eine Serie von ihnen, eine großartige Erfahrung oder einen langsam wachsenden Prozess, der dazu führt, dass sie stolz werden und Selbstvertrauen bekommen. Es mag sogar mit Ärger und Trotz einhergehen, so wie „Ich habe das Recht es zu tun und ich verletze niemanden. Wen geht es was an?“ Für mich begann es, als meine erste Frau mir sagte, ich sei ein Transvestit, ein Begriff, den sie bei ihrem Therapeuten aufgeschnappt hatte. Ich reagierte mit Verblüffung. Auf der einen Seite fühlte ich mich kategorisiert und irgendwie medizinisch indiziert – ich war in einer Kategorie, einer Schachtel, klar bezeichnet. Aber auf der anderen Seite meinte ich, ich könnte, guter Akademiker der ich war, in die nächste Bibliothek gehen und alles über mich selbst lesen. Ich habe alle Bücher besorgt, die meine Universität über das Thema hatte, fand heraus, dass ich bei weitem nicht allein war und lernte, dass es Organisationen gab wie die IFGE, die International Foundation for Gender Education, die sich Leuten wie mir widmeten und ihnen Schutz gaben. So begann meine Selbsterkenntnis durch einen externen Stimulus. Bei anderen sind es andere Wege, vom Rat eines Therapeuten bis zum Stolpern über eine Internetseite.

Das Selbstverständnis als Crossdresser, als Mitglied einer Gruppe bedeutet noch nicht, sich selbst auch so zu akzeptieren. Wenn das passiert, ist es meist das direkte oder indirekte Resultat der Interaktion mit anderen Crossdressern. Aber egal wie es dazu kommt, ist dies die entscheidende Komponente dessen, was ich mit einem engagierten Crossdresser meine. Jemand der sich nicht länger schämt, ein Crossdresser zu sein, der nicht länger versucht seine Neigung zu unterdrücken indem er seine gesamte weibliche Garderobe wegschmeißt und weiblicher Kleidung abschwört. (Vermutlich hat jeder Crossdresser schon mindestens einmal seine Sachen weggeschmissen und es letztendlich bedauert. Da ist immer das eine Kleid, die Bluse oder der Rock an den man sich wehmütig erinnert, weil er einem besonders gut stand) Tatsächlich wünscht sich der (oder die) engagierte Crossdresser nicht mehr seine Neigung loszuwerden, wenn er könnte. Er würde nicht die „magische Pille“ nehmen, die ihn zu einem „normalen“ Mann machen und seine Besonderheit verschwinden lassen würde. Und, wichtiger als das was er sich wünscht, hat er das Wissen, dass es nie weggehen wird, dass Crossdressing ein integraler Bestandteil seines Wesens ist und dass er ohne es nicht mehr er selbst wäre. Man weiß vielleicht nicht genau, was da passiert, was sich verändert, es gibt keine genaue Beschreibung der Vorteile; aber für den engagierten Crossdresser kommt eine Zeit, in der, was immer Crossdressing ist, es zu einem akzeptierten und integralen Bestandteil seines Lebens wird.

Wenn ich erst mal sagen kann, dass ich ein Crossdresser bin, dass ich stolz bin, ein Crossdresser zu sein, dann habe ich einen großen Schritt ich die Richtung gemacht, dass ich mich selbst in bezug auf das was und wie ich bin akzeptieren kann. Und das ist ein großer Teil davon überhaupt irgendeine Art von Person, inklusive des Transgender-Anteils zu sein. Die Gesellschaft, in der der Crossdresser lebt, will ihm sein Frausein verweigern, seine Weiblichkeit unterdrücken um so tun zu können, als gäbe es die Gefühle, Wünsche und Zwänge, die er fühlt, in Wirklichkeit gar nicht. Diese Gesellschaft ist vielschichtig und enthält als Stimmkomponenten nicht bloß die Fundamentalisten, sondern auch Schwule, die sich in Verlegenheit gebracht fühlen, von Jungen, die wie Mädchen sein wollen, oder Lesben die sich von den Karikaturen richtiger Frauen angegriffen fühlen. „Du existierst nicht“ beharren diese Stimmen „Du beleidigst Gott und verstößt gegen die biblischen Gebote!“ oder „Du unterstützt unsere Gegner und gibst uns der Lächerlichkeit preis mit deinem affektierten Tuntengehabe“ oder „Du versuchst unsere Kraft zu stehlen und bestärkst sexuelle Stereotype“. Jeder hat ein Problem, einen Einwand und einen Grund, warum es Transgender und insbesondere den heterosexuellen Crossdresser nicht geben darf. Jeder hat einen Grund, warum sie verschwinden sollten, zurück in die Kleiderschränke und aufhören sollen, die Gesellschaft mit ihren ordentlich zweigeteilten Normen zu stören. Das gilt sogar für einige Transsexuelle, die gelegentlich Crossdresser wie nervige kleine Schwestern behandeln, die ihre Zeit verschwenden oder schlimmer als Selbstdarsteller betrachten, die das ernste Anliegen der Transsexuellen verwässern und herabwürdigen. Ich sollte hinzufügen, dass es glücklicherweise zu einer Änderung zu kommen scheint und die schwul-lesbische Gemeinschaft sich unter dem Schirm der „Queer-Kultur“ mehr und mehr für das Transgender-Volk öffnet.

Aber der engagierte Crossdresser (und seine transsexuelle Cousine) machen nicht alles. Der engagierte Crossdresser hat den letzten Umkehrpunkt überschritten und will nicht mehr zurück. Vielleicht war er (oder sie) bis jetzt noch nicht mal draußen, weil es der Berufsalltag und andere Möglichkeiten nicht zulassen. Es ist ein interessanter Aspekt am Crossdressing, und ein wichtiger Teil der komplexen politischen Dynamik, dass Crossdresser üblicherweise keine Notwendigkeit haben, sich komplett zu outen. Er kann sein Leben zu Hause im Schlafzimmer leben, zu Treffen gehen, Ausflüge machen, doch es gibt meist keinen Wunsch einen Vollzeit-Wechsel vorzunehmen. Die Transsexuelle auf der anderen Seite muss zu ihrer Nichtkonformität stehen und ab einem bestimmten Punkt beginnen, ihr Leben zu leben. Doch selbst wenn es wahr ist, dass es für Crossdresser keinen Zwang gibt, sich zu outen, so wollen es doch die meisten. Sie wollen es aus dem einfachen Grund, weil sie tragen wollen, was sie wollen, wann sie es wollen, sein wollen, wer sie wollen und wann sie wollen. Dass sie sich nicht outen müssen, ist nicht das Gleiche wie zu sagen, dass sie sich nicht outen wollen. Der engagierte Crossdresser mag sich vielleicht aktuell nicht gegenüber aller Welt outen, doch er möchte und wird sein Geheimnis mit anderen Leuten, die ihm nahe sind und die er sorgfältig auswählt, teilen.

Am wichtigsten ist, dass der engagierte Crossdresser sich organisiert, andere erreicht und für eine Zeit arbeitet in der der Ausdruck des Geschlechtes eine Frage der Wahl ist, eventuell sogar der Stimmung, aber keine der Genitalien. Die erste Komponente eines engagierten Crossdressers ist also, sich selbst zu akzeptieren und sich selbst als Crossdresser zu erkennen, zu wissen, dass das immer so bleiben wird und zu sagen „Danke, vielen Dank, ich bin so glücklich, dass ich ein Crossdresser bin.“ Tatsächlich führt es noch weiter. Der engagierte Crossdresser sieht sich als Person, die die Geschlechterregeln bricht, die offen oder heimlich jenseits der Geschlechtergrenzen lebt. In bestimmter Art und Weise ist der Crossdresser der ultimate Geschlechts-Rebell. Trotz aller Hindernisse wechselt er von einem Geschlecht zum anderen, oft ohne dass es bemerkt wird oder er sich überhaupt Gedanken darüber macht. Der engagierte Crossdresser ist multi-geschlechtlich oder arbeitet zumindest daran und versucht, von einem persönlichen Standpunkt aus, die wichtigen Aspekte von mehr als einem Geschlecht einzubeziehen.

Gerade sind interessante Zeiten für Crossdresser, weil wir in einer Periode stark ansteigender Bewusstwerdung leben, nicht unähnlich zur feministischen und schwulen Bewusstwerdung zu ihrer Zeit. Mehr und mehr Organisationen werden in immer mehr Städten gegründet. Das Internet stellt einen gewaltigen Fortschritt dar, weil dadurch sowohl Crossdresser als auch Transsexuelle viel leichter an Kontakt, Unterstützung und Information kommen als jemals zuvor. Auch mein erster Kontakt zu anderen Crossdressern kam über das Internet zustande. Es war der CompuServe CB-Channel A13 auf dem ich durch einen glücklichen Zufall die Möglichkeit bekam, meine Besonderheit mit anderen zu diskutieren, die sie teilten. Und das geschah nicht bevor ich 40 Jahre alt wurde. Die erweiterten Möglichkeiten der Kommunikation sind ein zentraler Punkt in der gestiegenen Politisierung und Organisation von Transgendern.

Einer der ersten Schritte um von der Stigmatisierung loszukommen ist sich bewusst zu werden, dass andere ebenso fühlen und sich ebenso verhalten wie du und, Wunder aller Wunder, einige von ihnen tun es ohne Scham!

2.3 Das Erwachsenwerden

Ein Crossdresser, den ich kenne, hat einmal angemerkt, dass fünf Jahre im Leben eines Crossdressers einem Jahr im Leben einer genetischen Frau entsprechen, Das bedeutet für mich, dass der Crossdresser, weil er so isoliert und auf das Schlafzimmer beschränkt ist, keinen Zugang zu den verschiedenen Arten von Lern- und Reifeerfahrungen hat, die helfen einen über die verschiedenen Stufen des emotionalen Wachstums zu bringen die nötig sind, eine erwachsene Transgender-Person zu werden. Viele von uns sind nur zu vertraut mit dem Stereotyp des Crossdressers, der trotz Übergewicht und fortgeschrittenem Alter in einem gürtelbreiten Minirock und 15 cm hohen Absätzen umherstolziert und dabei genug blauen Lidschatten trägt um ein Kriegsschiff damit zu streichen. Doch was können wir von jemandem erwarten, der insgesamt nicht mehr als 10 – 30 Stunden menschlichen Kontakt in weiblicher Erscheinung hatte? Da waren keine Freundinnen, Mütter oder Schwestern, die gesagt haben “ Was?!? Du kannst so doch nicht auf die Straße gehen!“ Wenn diese arme Seele schon so tapfer war zu einem Club-Treffen oder einem Essen auszugehen, kann man nicht so grausam sein ihr eine kritische Rückmeldung zu geben. Man muss nur daran denken, wie Mütter ihre Töchter sozialisieren und ihnen sagen, wie sie sich kleiden, sitzen, reden und benehmen sollen um zu erkennen, dass die Eigenschaften, Gewohnheiten und Verhaltensweisen, die wir als „weiblich“ einordnen, nicht aus dem Nichts kommen. Es ist ein außerordentlich umfassender und nachhaltiger Prozess, dem man sich nur schwer entziehen kann. Deshalb ist es nicht überraschend, dass der isolierte Crossdresser, der kein solches Training hatte, gar nicht zu reden von der eingehenden Indoktrination der genetische Frauen ausgesetzt sind, viele Feinheiten nicht kennt.

Nachdem das gesagt ist, bleibt noch hinzuzufügen, dass Reife natürlich noch viel mehr umfasst als Kleidung und Makeup. Tatsächlich ist das eher der geringste Teil und vielleicht bekommt unsere miniberockte, netzbestrumpfte Freundin durch mehr Treffen, Veranstaltungen und öffentliches Auftreten davon eine Vorstellung, entweder weil sie darauf hingewiesen wird oder auch durch eigene Beobachtungen. Wenn sie die einzige ist, die solche Kleidung und solches Makeup trägt, dann muss ihr der Unterschied auffallen. Darauf kann man natürlich sagen „Zur Hölle mit ihnen, ich habe meinen Spaß!“, aber jedes Mal wenn man das nicht sagt, möchte man so gut und real aussehen wie diejenigen, die Vertrauen auszustrahlen scheinen, ihre eigene Weiblichkeit spüren und Sinn für Proportionen zeigen. Wie bei dem Sozialisationsprozess, in dem Mädchen diejenigen nachahmen, die haben was sie suchen, tastet sich auch der Crossdresser-Neuling langsam an ein Gleichgewicht heran, wo die Perspektive und das Verständnis der Weiblichkeit eine ebenso große Rolle spielen wie der Genuss der fetischistischen Erfüllung. Nein, der schwierigere und grundlegendere Aspekt der Reife und der Teil der zentral für einen engagierten Crossdresser ist, ist ein reiches, tiefes Verständnis der Weiblichkeit zu entwickeln und zu wissen, wo der eigene Platz darin oder nahe dabei ist. Der Crossdresser, anders als einige Transsexuelle, weiß, dass er keine Frau ist. Er weiß, er spielt es, ahmt es nach, bewundert und vielleicht auch beneidet es. Aber er muss anerkennen, dass seine Weiblichkeit aus einer anderen Ecke kommt und der Pflege und Hilfe bedarf. All das wird bei ihm zu einer Veränderung führen.

Wie und in welcher Form diese Veränderung auftritt, variiert stark. Abhängig von der Erziehung und der Einsicht des einzelnen Crossdressers, kann die Aktivität des Crossdressing lange Zeit auf einem Niveau verharren. Es mag seine anfängliche erotische Komponente behalten oder es geht eventuell darüber hinaus in Richtung auf Erwägungen der individuellen Weiblichkeit als Teil der Persönlichkeit. Eine nachdenkliche, reflektierte Person, sieht vielleicht ihr Crossdressing als den Ausdruck einer, sagen wir „inneren Frau“, und dieser Zugang ermöglicht ihr, das Konzept der Weiblichkeit zu erforschen. Wenn man sich an Crossdresser-Selbsthilfegruppen beteiligt, die ihren Mitgliedern ermöglichen, sich über Diskussionen, Aufsätze und Buchbesprechungen mit diesen Themen auseinanderzusetzen, dann ist ein Wachstum leichter. Das alles dient dazu, die Basis zu verbreitern von der aus der heterosexuelle Crossdresser sich seine Rollenvorbilder auswählt.

Durch die Beteiligung an Diskussionen, durch Lesen und Nachdenken darüber, inwiefern er ein Mann ist, inwiefern er (zumindest manchmal) wie eine Frau fühlt und sich als Frau präsentiert, entwickelt der Crossdresser eine gedankenvollere und reichere Persönlichkeit. Er bemüht sich zu lernen, was es bedeutet eine Frau zu sein, zu verstehen wie eine Frau fühlt, nachzuvollziehen, wie man sich als Frau fühlt und nicht als Karikatur einer Frau. Hier gibt es ein grundlegendes philosophisches Problem: Woher weiß man, was eine Frau fühlt, wenn man selbst keine Frau ist? Statt diese Frage zu beantworten, stelle ich einfach eine andere: Woher weiß eine Frau, dass sie wie jede andere Frau fühlt? Gibt es tatsächlich ein „Frauen-Gefühl“? Oder ist es wie bei so vielen anderen Gefühlen und es gibt eine weite Spanne von Individuen die sich an der einen oder anderen Stelle einordnen? Ist „sich als Frau“ fühlen ähnlich dem Gefühl wach zu sein, dass man, wenn auch nicht bewusst, die ganze Zeit spürt? Oder ist es wie sich selbstsicher fühlen, was sehr weit variieren kann, sowohl im Ausmaß als auch in der Weise? Zu vermuten, dass es da ein Gefühl gibt, dass ausschließlich und allen Frauen vorbehalten ist, ruft wichtige Fragen hervor, einschließlich der, wie man „Frau“ definiert und ob oder ob nicht alle das gleiche Gefühl haben. Es fällt schwer sich vorzustellen, dass die brave Hausfrau das gleiche Gefühl hat, wenn es denn existieren sollte, wie die unverheiratete, feministische Anwältin, von der männlich auftretenden, lesbischen Aktivistin gar nicht zu reden.

Lassen wir philosophische Abschweifungen beiseite. Nicht jeder Crossdresser lernt, sich intensiv mit seiner Psyche auseinanderzusetzen und erforscht tiefere Schichten der Geschlechtsrollen und ihrer Grenzen und Restriktionen. Tatsächlich denkt nur eine sehr kleine Gruppe der gesamten Bevölkerung über diese Fragen nach – und die meisten von denen wiederum sehen ein bipolares System als gegeben. Deshalb geschieht es nicht immer, dass ein Crossdresser einen tieferen Sinn für Weiblichkeit, Feminität entwickelt. Manchmal hat (und wird auch immer haben) ein Crossdresser und meiner Erfahrung nach auch ein Transsexueller lediglich eine unvollständige Idee davon, was eine Frau ist, wo der Platz der Frau in der Gesellschaft ist und wie er selbst in diese Rolle passt. Da kann man nichts ändern, denn nicht jeder ist introspektiv, nicht jeder reflektiert seine eigene Rolle im Leben. Für mich ist das Nachdenken, was Frau sein ist und wie Crossdressing damit zusammenhängt, mein Beruf. Für andere ist das nicht so und einige von ihnen werden über die Karikatur-Phase nie hinauskommen. Doch wir müssen gerecht sein. Ebenso wie es originale, 100% als Frau geborene Frauen gibt, die in unmöglichen Miniröcken und vollgespachtelt mit Makeup unterwegs sind, gibt es richtige Frauen, die niemals einen Gedanken darauf verschwendet haben zu überlegen, wer und wie sie qua ihrer Eigenschaft als Frau sind. Mit anderen Worten, ein Mangel an Selbstwahrnehmung ist kein spezifischeres Problem des Crossdressers als ein Mangel an Stilgefühl. Wir dürfen an Crossdresser keinen strengeren Maßstab anlegen als an genetische Frauen.

Eine neuere Entwicklung, die ca. 1995 fast zeitgleich an verschiedenen Orten auftauchte und für unsere Erwägungen sehr relevant ist, ist der Gedanke, dass die Geschlechter nicht bipolar sind. Diese Idee, die aus Diskussionen von Transgendern aller Schattierungen hervorging, dass sie nicht Männer oder Frauen, sondern etwas Drittes wären, ist sehr hilfreich. Zunächst macht sie den „Ich bin eine echte Frau in einem Männerkörper“-Ansatz überflüssig. Nun kann man besser sagen, „Ich bin eine Transgender-Person und habe mich entschieden, mich weiblich zu präsentieren.“ Diese Präsentation kann, muss aber nicht so weit gehen, dass sie eine operative Anpassung umfasst. Das löst viele Probleme, speziell politische, und führt einen großen Schritt weiter in Richtung auf die Aushöhlung der Tyrannei des bipolaren Geschlechtssystems, von dem so gewichtige Aspekte abhängen wie Familie, Hetero- und Homosexualität, Sexismus und die Unterteilung der Gesellschaft in geschlechtsdeterminierte Rollen. Diese Art zu Denken öffnet viele Optionen, die über den Standard Mann gleich Mann und Frau gleich Frau, eine Dichotomie die unser Leben beherrscht, weit hinausgehen. Wenn wir diesem Weg folgen, gibt es verschiedene mögliche Optionen – man kann zweigeschlechtlich sein, nicht geschlechtlich, vielgeschlechtlich, gegengeschlechtlich usw usf.. die Idee eines „Dritten“ ist sehr kraftvoll, insbesondere wenn man es selbst nicht als eine eigene homogene Kategorie versteht. Es wäre nicht sinnvoll, das bipolare System einfach durch ein tripolares zu ersetzen. Die eigentliche Idee ist, dass die Notwendigkeit ein Geschlecht zu haben insgesamt disponibel wird. Sie könnte ersetzt werden durch, sagen wir, die Existenz eines Satzes von Attributen mit verschiedenen Spannbreiten zwischen männlich und weiblich, wo zum Beispiel Eigenschaften wie Kreativität oder Entschlossenheit mehr als andere die wichtigen Aspekte einer Person definieren.

Bücher von Kate Bornstein, Martine Rothblatt, Gordene Mackenzie, Riki Anne Wilchins, Pat Califia und vielen anderen haben auf die eine oder andere Weise die Rolle des Transgender-Individuums als etwas betont, was Bornstein den „Geschlechts-Rebell“ nennt. Die Diskussion, die diese Bücher hervorgerufen haben, hat unsere Thematik bekannter gemacht und hat auch Reaktionen in der Gemeinschaft der Transgender hervorgerufen. Wenn Mann-zu-Frau- und Frau-zu-Mann-Transsexuelle gar nicht zu Frauen oder Männern werden, sondern zu Trans-Frauen und Trans-Männern, dann verliert die geschlechtsanpassende Operation mit ihren begleitenden Schwierigkeiten und Gefahren viel von ihrer zwingenden Notwendigkeit. Sie wird nicht verschwinden – ich denke weder, dass das geschehen wird, noch dass es geschehen sollte – doch es bedeutet, dass die Wahl freier wird. Sie kann nach reiflicher Überlegung und Zeit getroffen werden und ist nicht mehr eine Selbstverständlichkeit weil sie der einzig mögliche Weg ist. Sogar das „Passing“, die Fähigkeit für ein Mitglied des anderen Geschlechts gehalten zu werden, wird weniger wichtig und verliert seine Stellung als heiliger Gral des Crossdressing. Jemand kann ein Mann sein, der Frauenkleidung trägt und sich als Frau präsentiert, ohne so tun zu müssen als sei er eine genetische Frau. „Passing“ ist natürlich ein komplexes Thema, auf das hier nicht im Detail eingegangen werden kann, doch es genügt zu sagen, dass es viel über die Spannungen und inneren Widersprüche der Persönlichkeit des Crossdressers aussagt. Unglücklicherweise für den Erfolg des „Mach dir keine Sorgen ums Passing“-Ansatzes, genießt es die Gesellschaft immer noch, diejenigen zu belächeln, die einen solchen Freiraum benötigen würden und ein gutes „Passing“ ist immer noch der beste Weg, die eigene persönliche Sicherheit zu fördern.

Für mich ist also der engagierte Crossdresser eine Person, die sich (mehr oder weniger) glücklich selbst als Crossdresser identifiziert und die einen Zugang zu ihrer eigenen Weiblichkeit (oder Männlichkeit) hat, der tiefer geht als bloße Annäherung. Der engagierte Crossdresser gehört sich selbst, tatsächlich zweifach, er und sie gehört sich selbst, behandelt beide Seiten mit Respekt und möchte sie im Licht zeitgenössischer Gedanken erforschen, speziell unter dem Einfluss feministischer und progressiv, transgenderorientierter Gedanken. Der engagierte Crossdresser möchte nach draußen gehen und tut es auch, soweit es Sicherheit und Zweckmäßigkeit erlauben. Das Ziel des engagierten Crossdressers ist eine Welt in der der Ausdruck von Geschlechtszugehörigkeit eine Sache der Wahl und persönlicher Neigung, Bedürfnisse und Wünsche ist und nicht durch gesellschaftliche Regeln und Normen begrenzt oder beschränkt wird. Er bzw. sie arbeitet in Gruppen, politischen und beruflichen Organisationen um die Myriaden von Transgendern zu erreichen, die allein sind, isoliert und Hilfe brauchen.

3. Über Erklärungen

3.1 Das Ziel der Einheitlichkeit

Der engagierte Crossdresser hat das Ziel, sowohl seine männlichen als auch seine weiblichen Seiten in einer kompletten, reichen Persönlichkeit zu vereinen. Das Ziel ist so eine Art Jungianisches Buddhatum, in dem alle Teile der Geschlechtlichkeit sich in einem höheren, geschlechtsfreien Wesen zusammenfügen, ein Wesen dass alle seine Geschlechtsaspekte einschließt und sich über die von außen diktierten, stereotypen Geschlechterrollen erhebt. Tatsächlich finden viele Workshops und progressive Veranstaltungen statt, auf denen genau dieses Wachstum gefördert werden soll, das schließlich dazu führen soll, dass er oder sie eine solche Einheitlichkeit erreicht, dass die Persönlichkeit immer und überall die gleiche ist. Jeder, unabhängig davon wie integriert oder „bei sich selbst“ jemand ist, hat in sich verschiedenen Personen, auch innerhalb des gleichen Geschlechts. Die meisten von uns haben professionelle Fassaden ebenso wie gesellschaftliche. Und wir erwarten nicht genauso zu fühlen, auszusehen oder behandelt zu werden, wenn wir vor einer Seminargruppe stehen wie wenn wir uns in einer romantischen Situation mit einem Partner befinden. Wir alle haben Rollen, die wir spielen und sie sind wichtig für unsere Identität und unseren Selbstschutz. (Danke, Erving Goffman) Wenn man zu nett ist oder zu offen zum Beispiel, dann kann das dazu führen, dass man ausgenutzt wird. Rollen unterstützen uns mit Richtlinien und Kenngrößen durch die wir sicherer und geschützter handeln können.

Das alles gilt für beide, das Nicht-Transgender- und das Transgender-Individuum. Der Unterschied besteht jedoch darin, dass Transgender spüren, dass die Spannbreite von Rollen die eingenommen werden können so groß ist, dass dabei die Geschlechtergrenzen überschritten werden können.

Die Berücksichtigung des Ideals der Einheitlichkeit kann einen Crossdresser dazu führen, dass er glaubt, wenn er nur wirklich einheitlich wäre, wenn nur alle Komponenten der Geschlechtlichkeit entwickelt und einbezogen wären, dann würde das Crossdressing verschwinden, dann würde die Kleidung irrelevant werden für die Gefühle und den Ausdruck der Persönlichkeit mit denen sie normalerweise verbunden ist. Das ist, so stelle ich mir das vor, so als wenn ich eine wirklich einheitliche Person wäre und meine männliche und weibliche Seite in Einklang gebracht hätte und dann nicht mehr dass Bedürfnis hätte mich umzuziehen. Doch ich beschäftige mich lange genug damit um zu wissen, dass das nicht wahr ist. Auch wenn die Einbeziehung aller Rollen ein Ziel der Persönlichkeitsentwicklung ist, ist es einfach ein Missverständnis darüber, was Einbeziehung ist, wenn man glaubt, dann würde man die ganze Zeit gleich aussehen oder gleich fühlen. Ebenso wie man eine einheitliche Persönlichkeit sein kann und doch zwischen den Rollen des Professors und Liebhabers wechselt, bedeutet das für einen Crossdresser nicht,dass er den Gegensatz zwischen männlich und weiblich nicht mehr fühlen wird. Er bzw. sie wird sich in den verschiedenen Erscheinungen auch unterschiedlich fühlen. Einheitlichkeit heißt nicht, dass man immer gleich fühlt und gleich ist, sie bedeutet, dass man alle seine Ressourcen immer zur Verfügung hat.

Es ist ein Fehler zu glauben, diese Einheitlichkeit bedeute das Ende des Crossdressing. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Natürlich weiß man nie, wie sich totale psychische Balance auf jemanden auswirkt – ich selbst hatte diese Erfahrung sowieso nie. Doch ich weiß, dass Crossdresser nicht neurotischer oder unausgewogener sind als jede andere Gruppe (Docter & Prince, 1997). Nein der Glaube, über die Herstellung psychischen Gleichgewichts das Crossdressing überwinden zu können, ist einfach ein anderer Weg es zu verdammen, es als etwas zu behandeln – jedes Transgender-Verhalten zu behandeln – als wäre es etwas Falsches, das geheilt werden müsste. Crossdressing muss nicht geheilt werden, rigide Ansichten über Geschlechter, Geschlechterrollen, die Beziehungen zwischen den Geschlechtern, das Verhältnis von Genitalien zum Geschlecht, das ist, was geheilt werden muss.

3.2 Aber warum die Kleidung?

Nichtsdestoweniger quält den Crossdresser, engagiert oder auch nicht, diese eine Frage: „Warum muss ich Frauenkleidung tragen?“ Ich meine, da stehe ich, 50 seltsame Jahre alt, eine hinreichend einheitliche Person, eine Person mit einem ziemlich differenzierten Verständnis von Personen beiderlei Geschlechts und den Geschlechtern, mit einem Repertoire an philosophischem Sachverstand, das die Vertrautheit mit philosophischen Untersuchungstechniken, das Wissen über große Geister und neueste Denkansätze umfasst. Ich bin klug, ich bin reif, ich bin ausgeglichen genug um meinen Job zu behalten, meine Ehe zu sichern und gute Beziehungen zu meinen Kindern zu unterhalten. Ich bin ein professioneller Philosoph, jemand dessen Beruf es ist Fragen bezüglich der grundlegendsten Themen des Lebens zu stellen und darauf Antworten zu finden. Sicher, auf die Frage, warum ich Frauenkleidung anziehe, sollte ich doch antworten können. Aber die schlichte Wahrheit ist, dass wenn es um diese Frage geht, die so zentral für mein Leben ist, dann habe ich keine Antwort. Ich kann dir einfach nicht erklären, warum hier heute vor dir stehe und einen Rock und eine Bluse trage. Alles was ich dir sagen kann ist, dass egal ob hier oder irgendwo anders es etwas ist, dass ich mir nicht aussuchen kann. Ich werde es tun, ob ich will oder nicht. Und wenn ich es aus Gründen der Zweckmäßigkeit oder anderen nicht tun kann, dann werde ich mich unbehaglich fühlen, ein Druck wird sich so lange langsam aufbauen bis ich ihm nachgebe.

Es gibt eine Vielzahl von Erklärungen. Freudianische, behavioristische und neuerdings auch hormonelle und genetische. Eine Theorie geht davon aus, dass mein Vater zu schwach war und meine Mutter zu stark. Eine andere sagt, dass meine Mutter zu schwach war und mein Vater zu stark. Such dir was aus! Eine andere, neuere Theorie sagt, dass Hormone über mich hinweggeschwemmt sind, als ich ein winziger Fötus war. Ich nenne diese Theorie „Iiiiih, eine Maus!-Theorie“ weil sie unterstellt, dass irgendetwas während der Schwangerschaft meiner Mutter geschah, das einen Hormonschub in einem bestimmten Moment ausgelöst hat, zu dem ich, während ich meinen eigenen Kram machte und im Bauch meiner Mutter herumtrieb, besonders anfällig für die Geschlechtsspezifizierung war. Vielleicht erlitt sie einen Schreck oder sie war angerührt durch einen romantischen Film…. und deshalb trage ich heute Kleider. Es könnte aber auch alles genetisch bedingt sein und mit statistischer Regelmäßigkeit auftreten unabhängig davon was irgendjemand getan hat.

Ich habe keine Ahnung, welche dieser Theorien, wenn überhaupt eine davon, wahr ist. Vielleicht stimmt eine oder es ist eine Kombination oder alle sind falsch. Alles was ich weiß ist, dass Crossdressing für mich keine Frage der Wahl ist. Es ist sicher nicht so, dass ich eines Morgens aufgewacht bin und mich entschlossen habe, mein Leben sei noch nicht hinreichend kompliziert, nicht schwierig genug, und ich könnte das dadurch lösen, dass ich Büstenhalter trage. Es ist auch nicht so, dass ich zunächst eine starke weibliche Komponente in mir entdeckt habe und deshalb begonnen habe Frauenkleidung zu tragen. Ganz im Gegenteil – zuerst habe ich angefangen Frauenkleidung zu tragen und dann erst begann ich diesen Teil meines Wesens zu erforschen, der mich zu diesem Verhalten brachte. Erst aus meinem Crossdressing heraus und dem Versuch, den Sinn in dem Ganzen zu entdecken, begann ich diesen Teil meiner Seele zu erforschen, nicht umgekehrt.

Zudem mache ich mir nichts aus den Erklärungen. Was für einen Unterschied macht es für mich, wenn ich weiß, was die Ursache meines Crossdressing ist? Ich bin, wie Popeye sagte, was ich bin und ich muss lernen das zu akzeptieren, das zu nutzen und zu lieben, egal warum ich so bin. Wenn ich hart arbeite, nach innen schaue, und nachdenke und meditiere, dann kann ich lernen mich selbst so zu lieben wie ich bin und nicht so wie ich nach gesellschaftlicher Mythologie sein sollte. Wenn ich wirklich Glück habe, dann wird es in meinem Leben andere Menschen geben, die auch diesen Teil von mir lieben und als etwas bereicherndes ansehen. Keine der Ursachen-Erklärungen hat irgendetwas mit meinem Leben zu tun, dem Leben eines Crossdressers. Meine Kleidungsvorliebe ist wie meine braunen Augen – es ist eben so. Doch anders als meine braunen Augen hat mir das Crossdressing eine Menge emotionaler Kosten durch Zensur und Gefahr gebracht und hat mein Leben sehr gründlich eingefärbt. Diesen Kampf durchstehen zu müssen, diese Entscheidungen treffen zu müssen, die Geheimnisse wahren zu müssen, die Scham der Kummer und die Angst hat mich sehr stark beeinflusst.

Aber eine Seite wurde umgeschlagen. Das ist so, weil nun Crossdresser und ihre transsexuellen Brüder und Schwestern einen Platz an der Sonne wollen. Ich möchte, dass es mir möglich ist zum Campus oder in ein Restaurant so zu gehen, wie ich es möchte, ohne Angst vor Belästigungen oder Nachteilen. Und, wenn mehr von uns das tun, werden noch weitere folgen. Wenn der engagierte Crossdresser nach draußen geht, die Wassertiefe auslotet und sich selbst der öffentlichen Überprüfung stellt, werden mehr und mehr Menschen anerkennen müssen und wissen, dass Geschlechts-Varianz keine Krankheit ist, keine Verrücktheit, keine Abweichung, sondern eine Option. Wenn sich zu dem bekennt, was man ist, und, wo möglich, offen, dann werden Verbindungen hergestellt und Kerzen entzündet. Nicht jeder Crossdresser wird, so wie ich es getan habe, ins Rampenlicht treten und öffentliche Aufmerksamkeit beanspruchen, doch es gibt noch andere Wege. Sich mitzuteilen in Gruppen, durch das Internet, selbst in anonymen Umfragen führt dazu, dass mehr und mehr Menschen Crossdressing und Geschlechts-Varianz als etwas Normales ansehen. Diese „De-Sensationisierung“, dieses Vertrautmachen mit etwas Fremdem ist ein Prozess den jede Gruppe durchlaufen musste, die sich außerhalb des Üblichen bewegt, bevor sie schließlich akzeptiert wurde.

Inzwischen erkennen sich durch das Internet und die Massenmedien viele Menschen als Transgender. Immer jünger haben Crossdresser und Transsexuelle ihr Coming out und suchen nach Unterstützung. Sie warten nicht, wie ich und meine Alterskohorte, bis sie 40 Jahre alt sind um sich ihren Dämonen zu stellen. Meine Aufgabe als engagierter Crossdresser ist zu tun was immer ich kann, um deren Leben leichter als meines zu machen, ihre Pfade gerader und ihre Zuversicht größer. Es gibt keine Erklärung für das Crossdressing und wenn es eine gäbe, wäre sie irrelevant. Worauf es ankommt ist nicht, warum es geschieht, sondern dass es geschieht. Und es geschieht. Crossdressing verschwindet nicht und die Transgender-Gemeinschaft, Crossdresser, Transidenten, Transsexuelle und die ganze Palette der Geschlechter-Varianz verschwindet nicht. Wir sind hier um zu bleiben. Wir sind nicht leidend, nicht pervers, vielleicht verwirrend aber absolut und für immer hier.

Literaturverzeichnis

Bornstein, Kate. 1994. Gender Outlaw. London, Eng.: Routledge. 245pp.

Butler, Judith. 1991. „Imitation and Gender Substitution.” in Diana Fuss, Inside/out: Lesbian theories, gay theories.

Califia, Pat. 1997. Sex Changes: The Politics of Transgenderism. San Francisco:Cleis Press.

Docter, Richard F. & Prince, Virginia. 1997. „Transvestism: A Survey of 1032 Cross-Dressers.” Archives of Sexual Behavior. 26:6:589-605.

Garber, Marjorie. 1992. Vested Interests: Cross-Dressing & Cultural Anxiety. New York: Routledge.

MacKenzie, Gordene Olga. 1994. Transgender Nation. Bowling Green, OH: Bowling Green State University Popular Press

Rothblatt, Martine. 1995. The Apartheid Of Sex and the Freedom of Gender. New York: Crown Publishers.

Querverweise

Anmerkungen der Übersetzerin

1) Überschrift des Originaltextes zur besseren Verständlichkeit geändert, da im ersten Teil allgemein von Transgendern und Crossdressern die Rede ist

2) Im Original ist es der „BVD-Test“ in Anlehnung an die berühmte New Yorker Männerunterhosenfirma Bradley, Voorhees & Day. Eine Entsprechung für den deutschen Sprachraum lag nicht auf der Hand

3) Der englische Originalbegriff lautet „comitted cross dresser“. Ich habe keine zu 100 % bedeutungstreue Übersetzung gefunden. Das von mir gewählte „engagiert“ trifft es jedoch noch am Besten

4) Die Situation in Europa ist, speziell durch die Antidiskriminierungsregelungen der EU anders, siehe Recht transident

5) Als Ersatz für den englischen Begriff „tomboy“, Wildfang ist eigentlich geschlechtsneutral, wird aber durchaus für jungenhaft-wilde Mädchen verwendet

6) Im Englischen gibt es den Begriff „sissy“ oder auch „sissy boy“, ein deutscher Parallelbegriff existiert nicht, was auch schon etwas aussagt

engl. Original: Professor Miqqi Alicia Gilbert, 2000

© deutsche Übersetzung: Jula 2005

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