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Imperio und Dolores

  • von
Kruse - Dolores und Imperio

Sylvin Rubinstein und der Flamenco

Einleitung

Was hat Crossdressing mit einem alten jüdischen Flamencotänzer aus St. Pauli zu tun? Was mit den Grausamkeiten des zweiten Weltkrieges und dem Widerstand gegen die deutsche Wehrmacht?
Was verbindet den Tod einer jungen Jüdin mit einem alten Mann?
Flamenco!
Sylvin Rubinstein!
Ob er noch lebt?

Ich weiß es nicht. Aber ich finde es wichtig, dass er gelebt hat und dass seine Geschichte bekannt ist. Insbesondere bei den Menschen, die das gleiche tun wie er: in die Rolle einer Frau schlüpfen. Gerade weil er es aus ganz besonderen Gründen tat.

Transgender sollten Sylvin Rubinstein kennen!

Anfänge

Sylvin und seine Zwillingsschwester Maria wurden 1914 als Kinder einer jüdischen Tänzerin geboren. Der Vater soll der russische Fürst Dodorow gewesen sein, der während der Revolution ermordet wurde.

Sie wuchsen im polnischen Exil und in Lettland auf. Als die Mutter ihr Talent zum Tanzen erkannte, sandte sie die Kinder zu Madame Litwinowa, der großen russischen Solistin, nach Riga.

Kaum flügge, pfiffen sie auf das klassische Ballett. „Der Flamenco uns hat gelegen. Er ist maurisch, ist hebräisch, und die Zigeuner haben ihn bewahrt.“

Als Flamencotänzer Imperio und Dolores feierten Sylvin und Maria in den Varietés der 1930er Jahre Triumphe zwischen Berlin und Buenos Aires.

Rubinstein war schon öfter in Frauenkleider gestiegen war, wenn statt ihm und seiner Schwester zwei Tänzerinnen engagiert werden sollten.

Krieg

Dann kamen die Nazis nach Polen und das Grauen begann Im Herbst 1940 wurden alle Juden ins Ghetto getrieben. Tagelang kauerten Sylvin und Maria in einem überfüllten Treppenhaus. Sylvin erkannte damals: „Hier finden wir nur den Tod.“

Die Zwillinge flüchteten aus dem Ghetto und tauchten im „arischen“ Teil Warschaus unter. Seine Schwester war nach Osten aufgebrochen. Sie wollte gehen, die Mama holen, Sala und die Kinder. Und ist nie gekommen wieder.“

Das war 1942. Sie fuhr nach Brody in Galizien, dort, wo heute die Ukraine ist. Sie hatte zu ihm gesagt: „Ich komme durch, ich sehe nicht jüdisch aus.“

Er hat sie nie wiedergesehen. Ebensowenig wie seine Frau Sala Gutmann mit ihren Kindern und seine Mutter. Ich habe vielleicht nur überlebt, weil ich anderen geholfen habe.“

Rubinstein hatte eine unglaubliche Kraft zum Widerstand. Er engagierte sich im Warschauer Ghetto und geriet später an Major Kurt Werner, der vor dem Krieg Grundschullehrer in Berlin-Kreuzberg war. Werner arbeitete für den britischen Geheimdienst. Von Berlin aus, wohin Rubinstein 1942 unter dem Decknamen Sylvin Turski als ungarischer Ostarbeiter gekommen war, arbeitete er später in Polen im Widerstand. Es war eine heißes Leben. Aber ich bin eine Hyäne. Ich hab das gerne gemacht“

Er versteckte jüdische Kinder in Klostern, stahl Papiere , die aus Jüdinnen Arierinnen machten, besorgte Waffen für den Widerstand oder Lebensmittel.

Maria Theresa Cordelli gehörte dabei zu seinen Glanzrollen: als elegante italienische Journalistin begleitete er sehr viel unverdächtiger den Major als dies der jüdische Tänzer konnte.

Für Rubinstein war es selbstverständlich, daß man dagegen kämpfen mußte, als primitive Menschen über die NSDAP in Machtpositionen gelangt waren und sich als Schlächter austobten.

Wirtschaftswunder

Nach dem Krieg zog nach Hamburg und hat auf dem Kiez als Flamenco-Tänzerin gearbeitet, denn einen Tänzer wollte niemand einstellen, und eine Partnerin wie seine ermordete Zwillingsschwester konnte er sowieso nicht finden.

Immer noch auf die Rückkehr der geliebten Zwillingsschwester wartend, tanzte er fortan unter ihrem Künstlernamen Dolores allein den Flamenco. Ich habe die Palucca getroffen, sie nähte mir einen wunderbaren Fummel, um mein Ziel zu erreichen, wie meine Schwester zu sein.“

Dolores wurde Legende in den Varietétheatern von St. Pauli. Das war in den Jahren des Wirtschaftswunders, als in jedem deutschen Hausflur eine Spanierin hing, die man wieder „rassig“ nennen durfte.

Königin Juliana der Niederlande saß in der Loge, auch Kaiser Haile Selassie. In der Garderobe wartete die Millionenerbin Barbara Hutton. Und fragte, wo jemand so tanzen gelernt hat. Und Dolores antworte: Bei Madame Litwinowa von der Zarenoper.

Viele Männer haben sich in ihn verliebt. Dolores fuhr vom Varieté zur wenig entfernten Wohnung immer mit einem Taxi, um etwaigenVerehrern zu entkommen.

Er spielte die keusche Tänzerin, die man zum Plaudern auf Drinks einladen konnte, die er statt zu trinken natürlich diskret entsorgen mußte. Und wer nicht geglaubt hat, daß Dolores ein Mann war, durfte auch für Bargeld mal unter ihren Rock schauen. Eingelassen hat er sich mit Dolores Verehrern nicht.

Und es gab eine adelige Lesbe, die Dolores in der Garderobe ihre Liebe erklärte und auf Rubinsteins Einwand, er sei ein Mann, erwiderte: Spinn nicht rum, Mädchen.

Seine Kollegen meinten es nicht immer gut mit ihm, wollten sowieso niemals nach Dolores vor das Publikum oder zerschnitten in der Garderobe auch schon mal seine Kleider.

Als Stripperin Dolorita im Moulin Rouge hat er über so manchen Liebesbrief mit den Barfrauen den Kopf geschüttelt.

Als der Varietefilm „Die Beine von Dolores“ 1951 in den Kinos lief, machte Sylvin den ersten Striptease auf der Großen Freiheit. Vor dem Finale schlängelte sich die Federboa keusch über Brust und Schritt. Unter dem Kleid trug Rubinstein perlenbestickte Dessous. Und ich habe gesagt, das unter die Perlen kostet 300 Mark, da können Sie sehen meine Scham. Und ich habe gezeigt die Eier.“

Alter

Der Name Rubinstein steht nicht an der Tür und auch nicht auf dem Briefkasten. Der alte Herr mit dem osteuropäischen Akzent, der einmal Dolores war, lebt, ängstlich zurückgezogen, mit seinen Gespenstern. Auf dem Kiez, wie sich St. Pauli nennt, kennen alle nur Dolores.

Der alte Herr Rubinstein handelte mit Trödel.

Er hatte 17 Katzen zu füttern und noch mehr Menschen, streunende“. Verarmte Künstler sind bei ihm untergekrochen. Dissidenten aus Osteuropa, später, nach dem Militärputsch in Santiago, Sozialisten aus Chile; einmal versteckte er einen, den die Polizei suchte, weil er mit der RAF sympathisierte. Noch später beherbergte er Flüchtlinge aus Sri Lanka.

Viele Kostgänger hat Rubinstein in der Ausländerbehörde getroffen. 22 Jahre lang half er als Dolmetscher aus. Er spricht französisch, russisch, polnisch, ukrainisch, englisch, spanisch und deutsch mit einem Akzent, der seine Herkunft nicht verleugnen will. Jede Sprache steht für eine Lebensstation. In seinen Erinnerungen springt er zwischen ihnen hin und her. Nur wenn er Halt sucht an Worten, dann spricht Sylvin Rubinstein jiddisch.

Einen deutschen Paß will er nicht, und deshalb ist er heute staatenlos.

Den Menschen mißtraut er, doch hat sich Rubinstein Güte bewahrt. Er wirft die Deutschen nicht alle in einen Topf, verteidigt sie gegen Vorwürfe, wie er in diesem „Mörderland“ leben könne. „Es gibt viele, die mitgelitten haben. Ich habe sehr gute deutsche Freunde gehabt und auf dem Kiez wunderbare Menschen getroffen.“ Aber die Angst vor der Verfolgung wird er nicht los. „Soll ich vor den Neonazis nach Schweden fliehen?“

Nur auf St. Pauli, unter Punks, Musikern, Grün- Alternativen und Huren fühlt sich Rubinstein sicher. „Das sind alles Kommunisten“, sagt er. Das ist sein Synonym für Menschen, „die den Juden nichts tun“.Für  Rubinstein heißt Gut und Böse auch 50 Jahre später Kommunist oder Nazi.

Flamenco Zum Flamenco muß man geboren sein.“

Die Kostüme sind eine Mischung aus russisch- spanischen Stil-Elementen. Die typisch üppigen Volants der Roben sind aus grellbuntem Stoff für Babuschka- Röcke.

Aus einem rosa Beutel holt Rubinstein seinen Schatz: Kastagnetten. „Eine Erinnerung an Carla Otero.“ Mit gelenkigen Fingern und elegantem Schlag bringt er sie in seinen Händen zum Klingen und Tanzen.

Unter dem Tremolo der Hacken vibriert das Parkett. Die Kastagnetten schlagen wie die Klapper einer Schlange, wie ihr Kopf winden sich Hände. Paradies und Höllenqualen, alles kommt aus Schritten und Gebärden. Im Finale dann spannt eine grazile Armbewegung das Zigeunerkleid zu einem großen Fächer auf. In diesem Augenblick erfüllt die ganze Würde des Flamenco die welke Wohnung in Hamburg- St. Pauli. Ich werde den Leuten zeigen, was Flamenco ist: Erst komme ich wie eine große Blume. Kein Gesicht. Dann die Hände, die Kastagnetten. Zuletzt die Füße.“

Was bleibt?

Zum Glück ist die Geschichte von Sylvin Rubinstein aufgeschrieben und erzählt worden, bevor sie in in Vergessenheit geraten ist.

Es gibt ein Buch von Kuno Kruse

Dolores & Imperio. Die drei Leben des Sylvin Rubinstein
Der Journalist war durch Zufall bei einer Reportage über Kieztypen auf Sylvin Rubinstein getroffen und hat die Geschichte dem Vergessen entrissen.

Darauf aufbauend wurde von Marian Czura und Kuno Kruse ein Film produziert:

Er tanzte das Leben – Sylvin Rubinstein

Auf der Homepage des Autors http://www.kunokruse.de/deutsch/leben.htm
gibt es viele beeindruckende Bilder!

Und es gibt den Flamenco!

Quellen

Das Material habe ich aus verschiedenen Artikeln, die im Laufe der letzten Jahre immer mal wieder über Sylvin Rubinstein zusammengesucht und mehr oder weniger kritisch bearbeitet.
Einfach mal Sylvin Rubinstein oder Imperio & Dolores googeln!

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