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Geschlechtervielfaltsgesetz

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„Geschlechtervielfalt im Recht“

So heißt ein vom BMFSFJ (das „Konsonantenministerium“ ) :- ) herausgegebener Gutachtenband, in dem die rechtlichen Aspekte einer Neuregelung des Rechtes für Transpersonen und Intersexuelle bewertet werden.
Fundstelle: Geschlechtervielfalt im Recht

Neben der Analyse der aktuellen Situation enthält das Gutachten den „Entwurf eines Gesetzes zur Anerkennung und zum Schutz der Geschlechtervielfalt sowie zur Änderung weiterer Vorschriften„.

Warum darüber schreiben bzw lesen?

Weil es sich lohnt, den Entwurf zu kennen.
Zunächst die schlechte Nachricht. Wir haben gerade August 2017 und im September wird ein neuer Bundestag gewählt. Nach der Wahl gibt es eine neue Regierung und vermutlich neue Minister*innen.

Ob der Entwurf des Gesetzes so oder mit Abwandlungen jemals dem Bundestag zur Entscheidung vorgelegt wird, möchte ich bezweifeln.
Es wird also nie genau so kommen, wie der Entwurf vorschlägt.

Aber trotzdem. Der Text enthält interessante und teils sehr weitgehende Lösungsvorschläge für einige Probleme, mit denen Transpersonen und Intersexuelle zu kämpfen haben.
Selbst wenn dieser Entwurf nicht Realität wird, zeigt er doch, wie es gehen könnte. Das macht ihn für mich interessant.

Was will das Gesetz?

§1 Abs.1 Geschlechtervielfaltsgesetz – GVielfG lautet: „Ziel des Gesetzes ist die Anerkennung und der Schutz der Geschlechtervielfalt, einschließlich der Vielfalt der körperlichen Geschlechtsentwicklungen, der Geschlechtsidentitäten und des Geschlechtsausdrucks.

Damit wird erstmals die strikte Dualität der Geschlechter in Frage gestellt und der biologischen Realität Rechnung getragen. Mehr noch, die Dualität wird aufgegeben.
Zugleich werden die beiden Themen Trans* und Intersexualität in einen gemeinsamen Kontext gestellt. Das ist richtig, weil es bei beiden letztlich um das Gleiche geht: es gibt Personen, die aus biologischen Gründen nicht in das dichotome Raster von zwei Geschlechtern passen, die man einfach auf Basis der Genitalien festlegen kann.

Artikelgesetz

Weil die rechtlichen Aspekte vielfältig sind, handelt es sich um ein Artikelgesetz, das verschiedene Materien regelt.
Ich möchte nicht alle Aspekte behandeln, aber die aus meiner Sicht Wichtigsten kurz vorstellen.

Artikel 1

Das ist der Kern des Ganzen mit einigen revolutionären Vorschlägen: Das Gesetz zur Anerkennung und zum Schutz der Geschlechtervielfalt (Geschlechtervielfaltsgesetz – GVielfG).

Der erste Paukenschlag sind die Vorschläge zum Personenstandseintrag bezüglich des Geschlechts.
§ 2 Abs. 2: „In der Erklärung zur Bestimmung des Geschlechtseintrags ist zu bezeichnen, ob das Geschlecht mit „weiblich“, „männlich“, „weitere Geschlechtsoptionen“ oder „keine Angabe“ einzutragen ist. Der Eintrag „weitere Geschlechtsoptionen“ kann um eine eigene Bezeichnung von maximal 30 Zeichen ergänzt werden.

Das ist doch mal eine Ansage! Man müsste sich demnach nicht mehr für eines von zwei Geschlechtern entscheiden, sondern könnte auch ein selbst gewähltes oder gar keines haben! Das ermöglicht z.B. Eltern von Kindern mit nicht eindeutigen Genitalien (oder überhaupt!) gar keine Angaben zum Geschlecht zu machen. Dann steht da halt „Keine Angabe“.

§ 3 widmet sich der Änderung des Geschlechtseintrages. Das ist im Wesentlichen das Thema des heutigen TSG.
Gemäß dieser Regelung würde es genügen, einen Antrag zu stellen und eine entsprechende Erklärung abzugeben. Fertig. Einzige Einschränkung: nach Eintragung gibt es eine Wartezeit von 12 Monaten bis zur Möglichkeit einer erneuten Änderung. Keine Gutachten, keine Gerichtsverfahren.

Die Änderung des Vornamens ist in § 4 geregelt. Auch der Vorname kann auf Antrag geändert werden.

Aber Achtung: nicht einfach so, sondern nur in Zusammenhang mit §§ 2 oder 3! Das bedeutet, dass ich keine Änderung oder Ergänzung des Vornamens beantragen könnte, ohne auch meinen Geschlechtseintrag ändern zu lassen.
So weit, so einfach. Alles Weitere sind Folgen, die sich daraus ergeben.

Artikel 2

Natürlich haben die Regelungen im GVielfG vor allem Folgewirkungen für das Personenstandsgesetz. Das PStG muss sich entsprechend ändern.
Wobei das nach der Öffnung der Ehe für Alle, die in dem Entwurf noch nicht berücksichtigt ist, gar nicht mehr so komplex ist.

Artikel 4

Der ist sehr kurz und widmet sich dem Namensänderungsgesetz.
Die Änderung des Geschlechtseintrags wird zum wichtigen Grund im Sinne des Gesetzes und fertig.

Für mich bleibt zwar die Frage offen, warum ich zwar autonom über mein Geschlecht entscheiden darf, jedoch nicht die gleiche Freiheit bezüglich meines Namens habe, doch das ist (siehe: Mein Name gehört mir!) in Deutschland wohl eine noch heiligere Kuh als das binäre Geschlecht.

Artikel 6

Die Änderungen im BGB betreffen neben der Ehe besonders die elterliche Sorge.
Bemerkenswert ist der vorgeschlagene § 1631e:
Sorgeberechtigte Personen können nicht in einen geschlechtszuweisenden oder -angleichenden medizinischen Eingriff an den Genitalien oder Keimdrüsen des nicht einsichts-und urteilsfähigen Kindes einwilligen, es sei denn, der Eingriff ist zur Abwendung einer lebensbedrohlichen Situation oder der Gefahr einer schwerwiegenden körperlichen Gesundheitsbeeinträchtigung des Kindes zwingend erforderlich.

Damit wird der heute noch üblichen Praxis von Genitaloperationen an Kleinkindern ein Riegel vorgeschoben.
Viel Leid von intersexuellen Personen beruht darauf, dass an ihnen mit einverständnis der Eltern solche Operationen vorgenommen wurden.

Artikel 9

Dieser Artikel widmet sich dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG).
Die aktuelle Lage ist schon lange ein Ärgernis. Bisher erfasst das AGG die Diskriminierung von trans- und zwischengeschlechtlichen Personen über das Merkmal „sexuelle Identität“. Das ist anerkanntermaßen Quatsch. Sexuelle Identität ist die Frage, ob ich hetero-, bi-, a- oder homosexuell bin. Trans- und intersexuelle Menschen werden jedoch diskriminiert, weil sie nicht oder nicht so wie erwartet in das herkömmliche binäre Raster von Geschlecht passen.

Der Entwurf will das endlich richtig stellen. § 1 soll demnach folgender Satz angefügt werden: „Geschlecht im Sinne von Satz 1 umfasst auch Geschlechtsmerkmale, Geschlechtsidentität sowie Geschlechtsausdruck.“

Artikel 10

Hier geht es um das Gesetz für die Gleichstellung von Frauen und Männern in der Bundesverwaltung und in den Unternehmen und Gerichten des Bundes (Bundesgleichstellungsgesetz – BGleiG).

Das ist das wohl dickste und härteste Brett. Entsprechend umfangreich sind die vorgeschlagenen Änderungen.

Warum ist das so schwierig?
Das Gesetz hat als Thema die Beseitigung von Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen in Verwaltungen und Unternehmen des Bundes. Mit der Aufnahme von inter- und transgeschlechtlichen Personen in die Liste der Zielgruppen des Gesetzes ist es längst nicht getan. Es genügt nicht, diese Personen zu „Frauen im Sinne des Gesetzes“ zu machen.

Besondere Schwierigkeiten machen in diesem Zusammenhang das Wahlrecht, die Gleichstellungspläne und -statistiken. Wie passen die mit dem ebenfalls sehr wichtigen Offenbarungsverbot, das es wie im TSG auch im GVielfG geben soll, zusammen?

Nur ein Beispiel: Wie bekommt ein transgeschlechtlicher Mann das aktive Wahlrecht nach dem BGleiG ohne dass er sich offenbaren müsste? Männer sind derzeit nämlich seltsamerweise nicht wahlberechtigt. Schwierig! Ob die vorgeschlagene Lösung (freiwillige Angaben = freiwilliger Verzicht auf den Schutz des Offenbarungsverbots) wirklich klug ist, daran habe ich meine Zweifel. Zugegebenermaßen habe ich aber keine bessere Idee.

Hinzu kommen noch die notwendigen Sprachänderungen. Rechts- und Verwaltungsvorschriften sollen geschlechterinklusiv formuliert werden. Gar nicht so leicht angesichts der gewollten neuen Vielfalt.

Unvollständige Auswahl

Es gibt noch einige andere Gesetze, auf die ich nicht eingegangen bin. Es ist ein weites Feld.

Was gibt es nicht?

Es gibt keinen Artikel zur Änderung des SGB V!
Was heißt das? Das Gesetz kümmert sich nicht um die Kostentragung für medizinische Maßnahmen im Zusammenhang mit Trans*. So schön und richtig die aktuell laufende Entpathologisierung von Transidentität ist, sie bringt doch die Gefahr mit sich, dass Krankenkassen und –versicherungen sich genau mit dieser Begründung (keine Krankheit!) aus der Pflicht zur Kostenübernahme bei Behandlungsmaßnahmen zurückziehen. Schon aktuell sind die Auseinandersetzungen zwischen Betroffenen und Kassen bzw Versicherungen ein großes Ärgernis.

Meine Bewertung

Der Entwurf hat für mich sehr viel Licht und ein wenig Schatten.

Zunächst beeindruckt mich die grundsätzliche Haltung, die aus dem Entwurf spricht. Bisher geht das geltende Recht, insbesondere das TSG davon aus, dass trans- und intergeschlechtliche Menschen vor sich selbst geschützt werden müssen. Außerdem natürlich, dass die Gesellschaft vor der Erkenntnis geschützt werden muss, dass die Natur vielfältiger ist als unsere Vorstellung von eindeutigen Männern oder Frauen. Der Gesetzentwurf geht wie selbstverständlich davon aus, dass wir Betroffenen selbst am Besten wissen, wer und wie wir sind und wie wir damit umgehen müssen. Wow! Das ist neu.

Und er mutet der Gesellschaft zu, dass sie reif genug ist, mit mehr Vielfalt umzugehen. Dass hier erstmals deutlich gesagt wird, was niemand offiziell wahrhaben will, ist für mich die größte Leistung des Entwurfs: Geschlechter sind weder eindeutig binär noch unveränderlich. Es gibt eine Vielfalt, die der Staat anerkennnen muss, wenn er sich menschenrechtskonform verhalten will.

Der zweite für mich wichtige Punkt ist die Abkehr von der Doktrin „Was nicht passt wird passend gemacht“ bei der Anpassung von zwischengeschlechtlichen Menschen an die alte zweigeschlechtliche Norm.
Auf individueller Entscheidung beruhende, preiswerte und schnelle Verfahren zur Änderung des Personenstandes halte ich für eine Selbstverständlichkeit, die uns schon viel zu lange vom Staat vorenthalten wird.

Zu kurz greift der Entwurf meiner Meinung nach beim Namensrecht. Die bisherige Verfahrensweise, bei der die Namensänderung tendenziell die kleinere Lösung im Verhältnis zur Personenstandsänderung war, wird umgekehrt. Keine Namensänderung ohne Änderung des Geschlechtseintrags mehr! Es wirkt so, als habe die Autor*innen and dieser Stelle der Mut verlassen.

Andererseits: die deutsche Sichtweise von der grundsätzlichen Unveränderbarkeit von Namen ist ein anderes Thema. Ich würde mir zwar wünschen, dass die nicht mehr zeitgemäße Unflexibilität bei Namen im deutschen Recht endlich beseitigt wird und jeder sich so nennen kann wie er mag, auch wenn er/sie kein Transgender ist. Aber wie gesagt: das ist ein anderes Thema.

Unbefriedigend ist zudem die Blindheit des Entwurfs für die medizinischen Bedürfnisse von Transpersonen. Natürlich, das Bedürfnis nach körperlichen Veränderungen hat nicht zwangsläufig etwas mit dem Personenstand und dem rechtlichen Geschlecht zu tun. Aber es stellt sich trotzdem die Frage, ob man die realen Schwierigkeiten von Transpersonen im Verhältnis zu Krankenkassen und Krankenversicherungen bei der Frage der Kostentragung für Behandlungsmaßnahmen komplett außen vor lassen kann.

Es wird vermutlich noch eine ganze Weile dauern, bis wir in Deutschland ein so fortschrittliches Gesetz bekommen, wie dieses GVielfG. So lange werden Menschen wie ich noch mit sehr unbefriedigenden, menschenrechtswidrigen Zuständen in Deutschland leben müssen.

Aber zumindest wurde mit dem Entwurf gezeigt, wie es gehen könnte.

Querverweise

© Jula Böge 2017

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