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Genderdiversität an Schulen

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Information über Genderdiversität an Schulen – muss das sein?

Dieser Artikel erschien zuerst am 6. Februar 2018 auf den Seiten des Nürnberger Elternverbandes e.V.
https://www.nuernberger-elternverband-ev.de/nev/information-ueber-genderdiversitaet-an-schulen-muss-das-sein

Das Thema Genderdiversität hat in den letzten Monaten in der öffentlichen Diskussion viel Raum eingenommen. Die Entscheidung über die Ehe für alle und der Beschluss des BVerfG über eine dritte Option beim Personenstand haben gezeigt, dass in Deutschland etwas in Bewegung gekommen ist.

Damit stellt sich die Frage, ob die Auseinandersetzung mit Geschlecht und Gender jetzt nicht auch ein Thema für die schulische Bildung sein muss.

In verschiedenen Bundesländern haben Versuche, das Thema zum Unterrichtsgegenstand zu machen, zu zum Teil heftigen Auseinandersetzungen geführt. So möchte ich an die Diskussionen um die Bildungspläne in Baden-Württemberg und Hessen in den letzten Jahren erinnern. Gegner/innen der Einführung eines solchen Themas in den Schulunterricht sehen darin einen Generalangriff auf Familie und Gesellschaft und verwenden Begriffe wie z.B. Gehirnwäsche.

Doch um was geht es wirklich? Aus der Perspektive einer Person, die mit der eigenen Genderdiversität umgehen muss, sehe ich die Diskussion mit gemischten Gefühlen. Ich verstehe das Misstrauen der Eltern und ihre Ängste, dass ihre Kinder mit Themen konfrontiert werden, für die sie vielleicht noch nicht reif genug sind. Aber auf der anderen Seite sehe ich auch die Situation der Betroffenen, insbesondere der Kinder, für die in dem traditionellen Modell kein Platz vorgesehen ist.

Es gibt uns

Egal, ob man es wahrhaben will oder nicht: Es gibt Menschen, die schon als Kind spüren, dass sie nicht in das schlichte Schema von Mann oder Frau passen. Genderdiversität ist nun mal keine Erfindung, sondern schlicht eine biologische Realität. Es gab solche Personen schon immer, in allen Kulturen und allen Völkern.

Tatsächlich ist Gender zwar meist, aber eben nicht immer und nicht zwangsläufig, gekoppelt an die Genitalien. Manchmal sind sie nicht eindeutig, manchmal nicht den Chromosomen entsprechend ausgeprägt (Intersexualität). Hinzu kommen die Fälle von Personen, bei denen die Geschlechtsidentität nicht mit dem Körper übereinstimmt (Transidentität).

Mir hat niemand nahegelegt, dass ich in das Schema nicht passe. Ich habe es gefühlt und ich habe lange gebraucht bis ich wusste, dass meine Besonderheit normaler Teil der Vielfalt ist.

Und wir sind mehr als nur verschwindend wenige. Das merkt man erst jetzt, da sich die gesellschaftliche Diskussion nun öffnet. Es gibt keine genauen Zahlen zur Betroffenheit. Derzeit wird angenommen, dass bei Zugrundelegung eines breiten Verständnisses von Trans* rund ein Prozent der Bevölkerung darunter zu fassen sind. Nicht alle diese Personen wünschen sich medizinische Maßnahmen. Ein wesentlich größerer Anteil ist zumindest unzufrieden mit den gesellschaftlichen männlichen oder weiblichen Rollen und tendiert zu einer zwischengeschlechtlichen oder nicht binären Identifikation. Nach einer aktuellen Studie beschreiben sich hierzulande rund 11 Prozent der 14- bis 29-Jährigen als LSBT*Q.

Selbst unter Annahme der niedrigsten Zahlen bedeutet das, dass es an jeder Schule statistisch mehrere Kinder geben dürfte, die von der Thematik in der einen oder anderen Weise betroffen sind.

Wir wurden unsichtbar gemacht

Nach dem „klassischen“ Gendermodell unserer Gesellschaft, darf es uns nicht geben. Hiernach hat jede Person eines von genau zwei Geschlechtern zu haben. Und das sucht man sich nicht aus, sondern es wird ihm aufgrund der äußerlich sichtbaren Genitalien zugeordnet. Das Dogma lautet: Jede Person ist entweder Mann oder Frau und man erkennt das an den Genitalien.

Menschen, die nicht in dieses Raster passen, werden operativ angepasst. So gab und gibt es im langjährigen Durchschnitt in Deutschland mehr als 1500 genitalplastische Eingriffe an Kindern unter zehn Jahren. Diese Eingriffe dienen dazu uneindeutige Genitalien zu „normalisieren“.

Zwar kriminalisiert unsere Gesellschaft abweichende Orientierungen wie insbesondere Homosexualität nicht mehr, doch gilt Diversität bezogen auf Gender immer noch als krankhaft.

Diesem Druck folgend, versuchen auch wir Betroffenen selbst, so gut es nur geht den klischeehaften Erwartungen an Männer oder Frauen zu entsprechen und möglichst nicht als trans* identifizierbar zu sein.
In der Folge entsprechen dann alle Menschen, die man wahrnimmt, dem Modell.

Die Folge ist Leid

Das Thema verschwindet nicht, in dem wir die Augen vor ihm verschließen. Den Preis der Unwissenheit zahlen die Kinder, die nicht selbstverständlich Mädchen oder Junge sein können, obwohl sie es vielleicht gerne wären. Sie treffen nach derzeitigem Stand auf eine Umwelt, die nicht einmal weiß, dass es solche Menschen wie sie gibt. Häufig sind fehlendes Wissen oder Falschinformationen der Hintergrund für Ausgrenzung und Diskriminierung.

Die Frage ist nicht, ob es Kinder gibt, die sich mit dem Thema herumschlagen. Das ist sicher. Es geht vielmehr darum, wie es diesen Kindern geht. Ob wir Eltern und die Schule sie dabei unterstützen, zu lernen, wer sie wirklich sind. Und ob die Schule sich darum kümmert, dass diese Kinder wegen ihres unveränderlichen Andersseins nicht gemobbt werden.

Nationale und internationale Studien belegen, dass mehr als 80% der betroffenen Kinder und Jugendlichen sich bemühen, ihre Besonderheit an der Schule zu verstecken. Zugleich berichten knapp 25 % von Diskriminierungserfahrungen.

Muss mein Kind das wissen?

Unsere Gesellschaft ändert sich, wird offener gegenüber der Vielfalt. Weil sie weniger unterdrückt wird, tritt sie auch häufiger und offener zutage. Aus diesen Gründen kann die Frage nicht lauten, ob unsere Kinder von der Vielfalt im Bereich von Geschlecht und Gender erfahren oder nicht. Die Frage lautet vielmehr: Von wem erfahren sie es und welche Informationen erhalten sie?

Wenn nicht schon aus eigenem Erleben, werden Kinder über die Medien sowieso mit dem Thema konfrontiert werden. Eine Erstinformation durch die diversen Massenmedien mit einem teils sensationslüsternen Zugang zu der Thematik ist pädagogisch sicher nicht der beste Weg Kinder zu informieren. Ebenso wenig ist es akzeptabel, Kinder mit diesem Thema alleine zu lassen.

Die Unwissenheit über die existierende Vielfalt bei Geschlecht und Gender produziert reales Leid. Wir müssen unseren Kindern das Wissen geben, damit sie mit dem Phänomen und den Betroffenen kompetent umgehen können.

Zur Beantwortung der Frage, ob das alles so wichtig ist, dass Kinder es in der Schule lernen müssen, möchte ich eine Gegenfrage stellen: Was würden Sie sich wünschen, wenn Ihr Kind betroffen wäre?

Was kann die Schule tun?

Damit Kinder nicht Täter/innen oder Opfer werden, muss die Schule sie darüber informieren.
Es geht nicht um Sexualität, sondern um Menschenrechte. Es geht um den Schutz vor Mobbing und Diskriminierung. Deshalb ist Genderdiversität primär kein Thema für den Biologie- oder Sexualkundeunterricht, sondern es ist ein Thema für die Bereiche Ethik bzw. Gesellschaftskunde.

Die Vielfalt beim biologischen Geschlecht wird in den Schulen schon lange vermittelt. Doch bei der Vermittlung des kulturellen Modells sind die schulischen Materialien nach wie vor einem strikten Zweigeschlechtersystem verhaftet. Wenn es überhaupt Material gibt, dann wurde es im außerschulischen Kontext entwickelt. Auch in der Aus- und Fortbildung für Lehrer/innen kommt Genderdiversität bisher nicht vor.

Wichtig ist die Vermittlung der Tatsache, dass Gender eine kulturelle Dimension ist. Damit ist es prinzipiell dem Wandel unterworfen. Wir denken anders über Geschlecht als die Menschen in Mittelalter und vermutlich werden unsere Enkel anders darüber denken als wir.

Vergleichen wir das Wissen über Geschlecht und Gender mit dem Wissen über Pilze. Ich habe in der Schule noch gelernt, dass Pilze Pflanzen sind. Inzwischen sieht die Wissenschaft das anders. Man weiß mehr über Pilze und ihre Besonderheiten. Man kam zu der Erkenntnis, dass Pilze keine Pflanzen sind. Wenn man sie schon einem der beiden Reiche zuordnen muss, dann sind sie den Tieren ähnlicher. Doch auch das passte nicht wirklich. Also kam man zu dem Entschluss, dass sie ein eigenes Reich bilden. Jetzt ist ein mehrzelliges Lebewesen eben nicht mehr entweder Pflanze oder Tier, sondern Pflanze, Tier oder Pilz.
Den Pilzen ist es vermutlich egal, dass ihre Besonderheit von der Wissenschaft endlich anerkannt wird. Menschen, die nicht glatt in das rigide, binäre Modell von Geschlecht passen, ist es nicht egal, ob man sie anerkennt oder als abnorm diskreditiert.

Damit unsere Kinder mit den aktuellen Prozessen in unserer Gesellschaft und vor allem mit den betroffenen Menschen umgehen können, müssen sie wissen, dass die Wirklichkeit komplexer ist, als das derzeit noch selbstverständliche Modell es behauptet. Und sie müssen erfahren, dass dieses Modell sich in einer humanen, modernen Gesellschaft ändern muss und wird.

Die individuellen Eigenschaften von Personen ändern sich nicht. Es ändert sich aber, abhängig von unseren Modellen, wie wir mit den Personen umgehen.
Unsere Kinder müssen lernen, dass es so ist und warum das so ist.

Ziel muss ein positiver Umgang mit der Flexibilisierung von Geschlecht und Gender sein. Dies ist nur über adressatengerechte Information möglich! Dazu braucht es nach aktuellem Stand zweierlei. Mittelfristig müssen die Curricula und Lernmaterialien die Thematik in angemessener Form berücksichtigen. Unabhängig davon sollten die Schulen durch Bildungs- und Antidiskriminierungsprojekte niedrigschwellig und altersgerecht über Genderdiversität informieren.

Letztendlich geht es bei der Auseinandersetzung mit Genderdiversität um etwas Triviales. Schule muss an dieser Stelle nur das tun, was ihr Auftrag ist: Kindern helfen, die Welt zu verstehen, in der sie leben.

Weiterführende Informationen

© Jula Böge 2018

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