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Dieses Kribbeln im Bauch

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… das man nie mehr vergisst,
als ob da im Magen der Teufel los ist,
dieses Kribbeln im Bauch
kennst du doch auch,

so lautet ein Liedtext von Pe Werner, den ich immer sehr gemocht habe.

Dieses Kribbeln im Bauch, das man nie mehr vergisst,
als ob da im Magen der Teufel los ist,

Jetzt sitze ich hier an meinem Schreibtisch und habe genau dieses Gefühl. Massives Kribbeln im Bauch. In etwas über zwei Stunden bin ich bei einer Freundin und werde dort ins Bad gehen und mich schminken und umziehen. Anschließend werde ich mich bemühen, mit Haargel aus meinen Haaren eine feminine Frisur zurechtzuwuscheln. Schmuck und Parfum nicht vergessen und fertig zum Ausgang. Und dann werden wir losziehen.

So oft bin ich jetzt schon als Frau unterwegs gewesen. Zusammen mit einer Freundin oder allein. Hier in Nürnberg oder in anderen Städten. Bei Tag, in der Dunkelheit, im Sommer und im Winter. Ich bin schon als Frau im Kino gewesen, in Geschäften, beim Friseur, in Bars oder Restaurants sowieso.

Ich weiß ziemlich genau, was mich erwartet. Die meisten Leute werden an mir vorbeigehen, ohne mich zu beachten. Ich weiß, dass es nicht alle sein werden. Einige werden mich verwundert oder belustigt anschauen. Ganz selten wird mich jemand auf meine Besonderheit ansprechen und es nicht nett meinen. Darauf bin ich vorbereitet.

Ich erwarte, dass ich akzeptiert werde, weil ich zwar als Mann erkennbar bin, aber mich als Frau akzeptabel kleide und verhalte. Ein wenig Angst habe ich höchstens davor, dass ich jemandem begegne, der mich als Mann aus beruflichem Kontext kennt und mich trotz des weiblichen Styling identifiziert und dann mein Geheimnis rumtratscht. Sehr wahrscheinlich ist das aber nicht. Das weiß ich, denn in all den Jahren bin ich nur selten Arbeitskollegen begegnet und nie haben sie mich erkannt.

Noch unwahrscheinlicher ist, dass ich Skinheads oder Besoffenen oder sonstigen Transenhassern in die Hände falle, die mich als Objekt ihres Hasses und ihrer Gewaltbereitschaft nehmen, bloß weil ich anders bin als sie. Ich habe nicht mehr Angst als andere Frauen vor unheimlichen Begegnungen und folge den gleichen Sicherheitsregeln. Nachher, wenn ich unterwegs bin, besteht keine Gefahr. Es wird hell sein, ein Ausflugsgebiet mit Radlern und Spaziergängern.

Also ist alles Routine, sollte man meinen. Es ist ein gut kalkuliertes Risiko. Ich weiß was ich tue, habe es schon Dutzende von Malen getan. Es ist bloß etwas, auf das ich mich sehr freue. Etwas, das ich brauche, um glücklich zu sein. Etwas, für das ich mich vom Kopf her schon lange nicht mehr schäme, sondern auf das ich eigentlich stolz bin, weil ich etwas tue, was kaum jemand könnte oder sich trauen würde.

Und trotzdem sitze ich jetzt hier und habe schon seit ich heute morgen meine Tasche gepackt habe, diese riesigen Schmetterlinge mit Stahlflügeln im Bauch. Jedes Mal, immer wieder. Ich glaube, ich bin noch nie als Frau vor die Türe gegangen, ohne dieses Kribbeln.

Es zeigt mir an, dass ich unsicher bin. Ich fürchte mich ein wenig vor dem, was ich tun werde und weiß doch, dass ich es machen werde. Unter dem Rauschen von 1000 Schmetterlingsflügeln werde ich zaghaft in meinem Rock oder einem Kleid vor die Tür treten.

Ich werde meine Handtasche ganz fest an mich drücken und mich umschauen, ob und von wo Menschen kommen und ob sie mich beachten. Ich werde versuchen sie einzuschätzen, ob sie mich interessant finden werden. In diesen ersten Minuten bin ich verletzlich. Blicke die später an meinem Selbstbewusstsein abgleiten werden, treffen mich jetzt in den Bauch, in dem es kribbelt und tobt.

Ich habe gedacht, das Gefühl würde sich legen mit der Zeit oder doch zumindest schwächer werden oder kürzer andauern. Aber es bleibt. Es beginnt in dem Moment, wo ich aufwache und das erste Mal daran denke, dass ich heute als Frau ausgehen werde. Und es bleibt bis ich auf der Straße Sicherheit gewonnen habe. Es verschwindet nicht einfach durch Zeit, die ich weiblich gestylt verbringe. Es verschwindet nur durch Zeit, die ich sichtbar für andere Menschen als Frau unterwegs bin.

Dieses Kribbeln im Bauch
kennst du doch auch

Es ist das gleiche Kribbeln, das ich auch von anderen Gelegenheiten her kenne. Kurz bevor ich in eine Prüfungssituation muss. oder eine Rede halten. Kurz bevor die Achterbahn mit den vielen Loopings mich die Rampe hochfährt und ich weiß, dass ich jetzt dieser Maschine ausgeliefert bin.

Dieses Kribbeln, das bestimmt auch Schauspieler haben, während sie hinter dem Vorhang auf ihren Auftritt warten oder Fallschirmspringer während das Flugzeug sie auf die Absprunghöhe transportiert. Dieses Kribbeln ist es.

Es ist auch das Kribbeln, das man hat, bevor der Arzt einem die Ergebnisse von Befunden eröffnet oder auch kurz bevor der Zug in den Bahnhof einfährt, mit dem ein geliebter, lange vermisster Mensch ankommt. Und auch das Kribbeln, wenn man mit einer Taschenlampe durch einen fremden, großen, dunklen Keller geht, wo direkt hinter der nächsten Ecke …

Das Kribbeln zeigt an, dass etwas Großes, Wichtiges passieren wird oder zumindest passieren kann. Etwas, das meine gesamte Person erfassen wird. Ein Ereignis, das alle Sinne berühren wird. Eine Situation mit der man Hoffnung verbindet und auch Angst, weil man sie nicht kontrollieren kann und sich dem was kommt ausliefert. Ob irgendeine Frau dieses Kribbeln verspürt, bloß weil sie normal gekleidet in den Laden um die Ecke geht?

Und wenn das Kribbeln dann langsam verschwindet, dann ist da das Glück. Die Freude etwas zu erleben, das früher nicht mal zu erträumen wagte. Das Gefühl, dass alles gut ist, selbst wenn man sich gerade in den neuen Schuhen eine Blase gelaufen hat. Das Gefühl ganz im Einklang mit sich und der Welt zu sein. Das Gefühl, großartig zu sein.

Das Kribbeln zeigt mir, dass ich immer noch ein wenig Angst habe. Es zeigt mir, dass das was ich da tue, sehr wichtig für mich ist. Und es zeigt mir, dass es für mich etwas Besonderes ist.

Bald ist es soweit! Ich spüre, wie sich der Schmetterlingsschwarm in meinem Bauch mit hektischen Flügelschlägen erhebt.

Dieses Kribbeln im Bauch, das man nie mehr vergisst,
als ob da im Magen der Teufel los ist,
dieses Kribbeln im Bauch kennst du doch auch,
wenn man glaubt fast überzuschäumen vor Glück
dieses Kribbeln im Bauch, das man nie mehr vergisst,
wie wenn man zuviel Brausestäbchen isst,
dieses Kribbeln im Bauch vermisst du doch auch, einfach überzusprudeln vor Glück.

Pe Werner

Querverweise

© Jula 2007

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