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Erwischt

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Okay, du hast mich durchschaut!

Du hast die große Frau auf der Straße oder im Lokal gemustert und dir ist aufgefallen, dass ich nur scheinbar eine Frau bin.

Ja, ich bin ein biologischer Mann, für den es wichtig ist, auch mal in der Öffentlichkeit die Rolle einer Frau zu übernehmen und der in weiblichem Styling unterwegs ist.

Zunächst mal kannst du stolz auf dich sein, denn nicht alle, überraschenderweise nicht einmal besonders viele Menschen, bemerken, was du bemerkt hast. Sie gehen an mir vorbei, mustern mich flüchtig und ihr Blick wandert weiter, nichts hat sie verstört. Aber dir ist etwas aufgefallen. Du bist ein guter Beobachter bzw. eine gute Beobachterin.

Vielleicht bemerken meine Besonderheit viel mehr Menschen als ich glaube (obwohl ich versuche sehr unauffällig zu sein und meine Umwelt gut beobachte), aber die zeigen keine Reaktion, also scheint es ihnen egal zu sein.

Aber an deiner Reaktion habe ich bemerkt, dass es dir nicht egal ist. Du hast gestutzt und genauer hingeschaut und meine Tarnung ist aufgeflogen.

Was denkst du nun?
Findest du mich lächerlich?

Eine Frau, die Frauenkleidung trägt, ist sicher nicht lächerlich. Auch eine Frau, die Männerkleidung trägt würde dich vielleicht ein wenig erstaunen, aber ich bin mir nicht sicher, ob du es überhaupt registrieren würdest, wenn eine Frau als Mann unterwegs ist (ja, auch das gibt es). Aber ein Mann (meiner Größe) der versucht weiblich zu sein, ist für dich ein Witz. Ich bin die Gans, die versucht, für einen Schwan gehalten zu werden. Vergibt sich ein Mann etwas, verliert er etwas von seiner Würde, wenn er feminin gestylt nach draußen geht? Oder sind es mehr die Defizite, die zum Lachen reizen? Die fehlende Anmut, der grobe Körperbau, die markanteren Gesichtszüge? Ja, meine körperlichen Defizite sind mir bewusst, doch sie ändern nichts an dem, was ich mir wünsche. Glaube mir, ich wäre gerne eine schönere Frau.

Oder bin ich peinlich?
Ich tue etwas, das zwar nicht verboten ist, doch ich verstoße gegen ungeschriebene Regeln, gegen die „guten Sitten“. Frauenkleidung ist Frauen vorbehalten und Männerkleidung den …. naja, so ganz gilt der zweite Teil der Regel heute nicht mehr. Früher, es ist erst ein paar Dutzend Jahre her, wurde eine Frau noch beschimpft, wenn sie in der Öffentlichkeit Hosen trug. Ich weiß, es ist nicht das gleiche, weil ich ja mehr tue, als nur einen Rock oder ein Kleid zu tragen, sondern für eine Frau gehalten werden möchte, doch ich zeige ja nur wie ich mich selbst auch sehe. Ich bin nicht obszön und tue nichts, was für eine Frau in der Öffentlichkeit nicht schicklich wäre.

Wie ist es für mich, wenn du dich belustigt oder unangenehm berührt von mir abwendest oder laut über mich lachst?

Ich versuche nur, einen Teil von mir zu leben für dessen Existenz ich nichts kann. Es soll keine Entschuldigung für mein Verhalten sein, aber du solltest wissen, dass ich mir nicht ausgesucht habe, so zu sein wie ich bin.

Es ist Teil meiner Persönlichkeit, ein Bedürfnis, kein Hobby, dass ich mir ausgesucht hätte. Mit diesem weiblichen Teil des Mannes, der ich nun mal biologisch bin, habe ich auch (für eine Frau) normale Bedürfnisse, die ich leben will. Dafür gehe ich ein hohes Risiko ein. Ich bin nicht selbstbewusst als Frau. Ich habe Angst vor anderen Menschen und bin unsicher. Und weil ich unsicher bin, beobachte ich meine Umwelt ganz genau und schaue, ob und wie die Menschen auf mich reagieren. Ich achte vor allem auf Menschen wie dich, die mich durchschauen, und ihre Reaktionen. Davor habe ich nämlich Angst. Wenn du lachst, dann schäme ich mich für das was ich bin und fühle mich gedemütigt.

Es ist also nicht bloß so, dass du auf mich reagierst, sondern ich reagiere umgekehrt auch auf dich. Ich habe auch Angst vor Schlimmerem als bloß Lachen. Du könntest mich angreifen, aus Wut oder Übermut, mich zum Spielball einer johlenden Menge machen und sogar körperlich verletzen.

Ich weiß, du würdest so etwas nicht tun, aber andere würden und woran sollte ich erkennen, ob du zu ihnen gehörst oder nicht? Du kannst dir kaum vorstellen, wie groß mein Schrecken ist, wenn ich lautes Lachen höre und jemand mit Fingern auf mich zeigt.

Wenn du lachst oder empört bist, kann ich dir nicht selbstbewusst entgegentreten, denn ich tue ja wirklich etwas Ungewöhnliches. Doch du solltest wissen, dass ich dich mit dem, was ich tue, nicht verletzen will. Ich bin nicht dein Feind und möchte dich weder in deiner Männlichkeit noch in deiner Weiblichkeit (je nach dem) in Frage stellen. Ich bin nur wie ich sein muss und versuche, mit Würde Mensch zu sein. Meistens ein Mann, aber manchmal eben auch eine Frau.

Und wenn du mich durchschaut hast und du findest es nicht schlimm was ich tue, dann schenke mir ein Lächeln und ich werde es erwidern.

Querverweise

© Jula 2003

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