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Recht queer

Das rechtliche Geschlecht

Der Staat dokumentiert und bestätigt, wer wir sind. Mit Namen, Daten und Nummern wird uns eine einmalige Identität gegeben. Wir haben Ausweise, die uns ermöglichen, Dritten zu beweisen, dass wir die sind, die wir behaupten zu sein. Ohne diese staatlich garantierte Identität, kann man nicht im Flugzeug reisen, kein Bankkonto eröffnen und und und.

Für lange Zeit gehörte zu dieser staatlich garantierten Identität auch die eindeutige Zuordnung zu den Kategorien männlich oder weiblich. Eltern mussten diese für ihre Kinder bei der Geburt zwingend angeben und diese Angaben zum Geschlecht waren unveränderlicher Teil dieser Person, wie die Augenfarbe, der Tag der Geburt und der Geburtsort. Namen und Adressen konnten sich ändern, doch diese vier Aspekte blieben Fixsterne.

Früher: Der Staat anerkennt Diversität

Das war lange so in Deutschland, doch es war auch schon einmal anders. Z.B. im Preußen des 18. Jahrhunderts, wo das Pr. ALR die Diversität bereits akzeptierte.

Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten vom 5. Februar 1794
Von Personen und deren Rechten überhaupt: der Zwitter.
§. 19. Wenn Zwitter geboren werden, so bestimmen die Aeltern, zu welchem Geschlechte sie erzogen werden sollen.
§. 20. Jedoch steht einem solchen Menschen, nach zurückgelegtem achtzehnten Jahre, die Wahl frey, zu welchem Geschlecht er sich halten wolle.
§. 21. Nach dieser Wahl werden seine Rechte künftig beurtheilt.

Letztlich forderte auch damals der Staat eine eindeutige Entscheidung „zu welchem Geschlecht er sich halten wolle“. Aber immerhin entschied über das „richtige“ Geschlecht, die Person selbst und nicht irgendwelche Ärzte oder Gutachter.

Bis vor kurzem: Das Modell von zwei Geschlechtern wird wider besseres Wissen verteidigt

Das Verfahren, nach dem man in Deutschland zu seinem rechtlichen Geschlecht kommt, zeigt, dass da niemand ein Problem gesehen hat. Ein Kind wird geboren, man schaut seine Genitalien an und weiß Bescheid.

Allein die Tatsache, dass das „moderne“ Personenstandsrecht in Deutschland, anders als noch das Preußische, die Existenz von Uneindeutigkeit komplett negierte, zeigt, dass man die Situation für einfach halten wollte. Denn die Wissenschaft hatte schon lange erkannt, dass es mit dem biologischen Geschlecht bei weitem nicht so einfach ist, wie es aussieht.

Die neuen Erkenntnisse und Möglichkeiten wurden jedoch nicht genutzt, um die Vorstellung von Geschlecht zu verändern, sondern um die Vielzahl der individuellen Abweichungen bestmöglich zum Verschwinden zu bringen. In der Folge wurde in Deutschland konsequent passend gemacht, was die Natur nicht passend lieferte. Menschen, die biologisch nicht eindeutig waren, wurden meist schon in früher Kindheit passend gemacht. Die meisten intersexuellen Menschen hatten selbst nie eine Chance, frei zu entscheiden, wer und wie sie sein wollten. Sie hatten zu sein, zu was die Mediziner/innen und Eltern sie machten. Ein wenig war das auch unser nationalsozialistisches Erbe. Denn in den dunklen Jahren wurde vieles negiert, was es nicht geben sollte.

Das Geschlecht als Personenstandsmerkmal war also, im Kern gegen besseres Wissen aus Biologie und Medizin, sehr einfach gehalten.

Das TSG von 1980 war unter diesen Rahmenbedingungen etwas fast schon unerhörtes! Erstmals hat der Staat anerkannt, dass Gender wichtiger sein kann als Genitalien. Menschen sollten ihr rechtliches Geschlecht ändern können. Der Unerhörtheit des Anliegens folgend, waren die Hürden extrem hoch. Alltagstest! Zwei Gutachten! Und kein Wechsel des Personenstandes bei fortbestehender Ehe oder noch vorhandener Fortpflanzungsfähigkeit. Der Gedanke, dass womöglich zwei Männer miteinander verheiratet sein könnten, war ebenso unerträglich wie die Vorstellung, dass eventuell eine Frau ein Kind zeugte.

Das gestiegene Bewusstsein für Menschenrechte und wiederholter Druck des BVerfG, das den Menschenrechten über das Grundgesetz Wirkung verlieh, haben nach und nach das TSG ausgehöhlt und halbwegs den Menschenrechten entsprechende Zustände in Deutschland erzwungen. Einsichtige Entscheidungen der Politik waren es allerdings nicht.

Gegenwart: es gibt drei rechtliche Geschlechter

Zur aktuellen Situation beim Transsexuellengesetz (TSG) habe ich mich hier und hier ausführlicher geäußert. Obwohl die Neuregelung dieses Themas schon lange auf der Agenda steht, wird eine Neufassung trotz vorliegender Entwürfe immer wieder hinausgeschoben.

Doch plötzlich kam in die Situation unerwartet Bewegung. Die Intersexuellen, deren schiere Existenz durch das strikte System zweier sich gegenseitig ausschließender Geschlechter die Anerkennung verweigert wurde, erreichten vor dem BVerfG einen wichtigen Erfolg. Es muss eine positive dritte Option für das rechtliche Geschlecht geben, da es nun einmal Menschen gibt, die sich der schlichten Kategorisierung als männlich oder weiblich, entziehen. Das machte eine Änderung des Personenstandsgesetzes (PStG) zwingend notwendig.

§ 45b PStG

Hier auszugsweise (Volltext) der Text des neuen “§ 45b Erklärung zur Geschlechtsangabe und Vornamensführung bei Personen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung”:
(1) Personen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung können gegenüber dem Standesamt erklären, dass die Angabe zu ihrem Geschlecht in einem deutschen Personenstandseintrag durch eine andere in § 22 Absatz 3 vorgesehene Bezeichnung ersetzt oder gestrichen werden soll. ….
Mit der Erklärung können auch neue Vornamen bestimmt werden. Die Erklärungen müssen öffentlich beglaubigt werden; sie können auch von den Standesbeamten beglaubigt oder beurkundet werden.
(2) Für ein Kind, das geschäftsunfähig oder noch nicht 14 Jahre alt ist, kann nur sein gesetzlicher Vertreter die Erklärung abgeben. Im Übrigen kann ein Kind die Erklärung nur selbst abgeben; es bedarf hierzu der Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters. …
(3) Durch Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung ist nachzuweisen, dass eine Variante der Geschlechtsentwicklung vorliegt. Dies gilt nicht für Personen, die über keine ärztliche Bescheinigung einer erfolgten medizinischen Behandlung verfügen und bei denen das Vorliegen der Variante der Geschlechtsentwicklung wegen der Behandlung nicht mehr oder nur durch eine unzumutbare Untersuchung nachgewiesen werden kann, sofern sie dies an Eides statt versichern.
(4) Für die Entgegennahme der Erklärung ist das Standesamt zuständig, das das Geburtenregister für die betroffene Person führt. …

Diese Änderung wäre, davon bin ich überzeugt, nie erfolgt, wenn das BVerfG nicht mit einer relativ kurzen Frist extremen Druck aufgebaut hätte.

Bewertung

Zusammen mit der kurz zuvor erfolgten Öffnung der Ehe für Alle (die einzige Liberalisierung, die die Politik in diesem Bereich ohne Druck des BVerfG vorgenommen hat) ist damit für genderdiverse Personen die Situation in Deutschland inzwischen relativ erträglich.

Es bleibt jedoch (entgegen hilfreicher Hinweise des BVerfG) bis auf weiteres dabei, dass der Staat auf der Dokumentation eines rechtlichen Geschlechtes beharrt. Man hätte auch komplett darauf verzichten können, das Gender zum Gegenstand staatlicher Dokumentation zu machen. Warum das noch so wichtig ist, wenn sowieso jede erwachsene Person (fast) jede andere heiraten darf und Frauen und Männer an Rechten und Pflichten gleich sind, kann ich zwar nicht genau erklären. Aber so ist es nun einmal weiterhin. Geschlecht ist nicht bloß Privatsache, sondern weiter eine staatlich dokumentierte Eigenschaft der Person.

Allerdings kann man (siehe den Text des § 45b Abs.1) nun in Deutschland nicht bloß drei statt vorher zwei, sondern tatsächlich vier verschiedene Einträge haben. Zu den positiven Optionen männlich/weiblich/divers kommt die vierte Möglichkeit der Streichung. Man kann also statt der positiven Möglichkeiten auch eine negative wählen und somit staatlicherseits gar kein Geschlecht haben. Damit sind wir doch ein Stück weiter als das Pr. ALR von 1794!

Der Zugang zu diesen Optionen ist übrigens, wie man Abs. 3 entnehmen kann, erfreulich niedrigschwellig: „Durch Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung ist nachzuweisen, dass eine Variante der Geschlechtsentwicklung vorliegt.

Okay, die Politik war immer noch nicht bereit, sich auf die ernsthafte Aussage der Personen zu verlassen, die sich selbst am besten kennen, nämlich die Betroffenen selbst. Doch eine (also nicht zwei!) einfache(!) ärztliche Bescheinigung („Ich bescheinige hiermit, dass bei <Vorname, Name> eine Variante der Geschlechtsentwicklung vorliegt.“) ist keine unüberwindbare Hürde. Zumal diese Aussage keine pathologisierende Diagnose auf Basis irgendeines medizinischen Diagnoserasters beinhaltet.

Wie sich aus dem vorletzten Satz von Abs. 1 ergibt, weicht die Neuregelung zudem das ansonsten extrem restriktive deutsche Recht zur Änderung von Vornamen auf. Während das ansonsten ein schwieriger, langwieriger und auch teurer Akt (siehe das immer noch gültige TSG bzw die Verwaltungsvorschriften zur Namensänderung) ist, geht es auf Basis dieser Norm praktisch so nebenbei mit.

Erfreulicherweise wird das Alles im einfachen Verwaltungsverfahren abgewickelt (siehe Absatz 4). Weil, anders als im TSG, kein gerichtliches Verfahren angeordnet wird, ist der Ablauf nicht nur sehr schnell möglich, sondern zudem auch mit erfreulich niedrigen Kosten verbunden.

Zukunft

Es ist also jetzt in Deutschland möglich, einen von drei vorgesehenen Geschlechtseinträgen zu haben oder auch gar kein rechtliches Geschlecht. Damit ist der Staat deutlich weiter (und näher an der wissenschaftlichen Sicht auf das biologische Geschlecht) als die Gesellschaft.

Welche Auswirkungen diese rechtliche Situation auf die gesellschaftliche Realität haben wird, ist noch nicht abzusehen. Aber, da bin ich mir sicher, sie wird Auswirkungen haben. Menschen ohne Geschlechtseintrag werden Reisepässe beantragen. Stellenangebote werden für m/w/d ausgeschrieben. In Personalausweisen werden männliche, weibliche und neutrale Vornamen in bunter Reihe auftauchen. Männlich aussehende Personen, werden weibliche Reisepässe haben und umgekehrt.

Geschlechtliche Diversität kann für unsere Gesellschaft kein Witz mehr sein. Für die Betroffenen war es das sowieso nie.

Es wird spannend werden. Unsere Gesellschaft wird sich verändern. Fraglich ist bloß, wie sehr und wie schnell.

Querverweise

© Jula Böge 2019

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