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Genderqueer am Arbeitsplatz

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Warum ich meine Geschlechtsidentität am Arbeitsplatz nicht unterdrücke

Der Artikel ist im englischen Original erschienen in der Huffington Post erschienen.
Jacob Tobia, 2014

Jacob Tobia
Quelle: Wikimedia Commons

Ich schaute mich von oben bis unten im Ganzkörperspiegel an.
Bluse eingesteckt? Check. Perlenohrringe auf? Check. Lippenstift makellos? Check.
Nach ein paar Minuten des Verschönerns und Posierens und nach ein paar tiefen Atemzügen, war ich bereit für meinen ersten Tag in einem neuen Job.

Wenn ich einen neuen Job antrete, kämpfe ich mit all der typischen Beklommenheit und den Bedenken. Werden meine Mitarbeiter mich mögen? Werde ich in die Bürokultur passen? Schreibe ich diesen Bericht mit der richtigen Formatierung?

Aber eine Frage überragte alle anderen, als ich meine Arbeit in der letzten Woche begann: Was soll ich für die Arbeit anziehen?

In vielerlei Hinsicht ist es ein Anliegen dem sich jeder stellen muss. Am ersten Tag, will jeder sein Outfit richtig hinbekommen. Am Morgen vor einem neuen Job verbringen die meisten von uns zusätzliche zehn, zwanzig oder 30 Minuten dafür zu sorgen, dass unser Haar richtig frisiert ist, unser Deodorant sowohl effektiv als auch unauffällig ist und unser Outfit auf den Punkt ist.

Aber für Transgender und nicht-geschlechtskonforme Leute wie mich, ist die Frage, was man zur Arbeit anzieht, eine anstrengende Frage der Identität und des Überlebens.

Für uns ändert sich die Frage von „Wie kann ich mein bestes Selbst bei der Arbeit präsentieren?“ zu „Kann ich bei der Arbeit überhaupt mein bestes Selbst präsentieren?“

Als Student an der Duke (Anm: Duke University, Durham, NC), verbrachte ich vier Jahre damit, mich als nicht gender-konforme Person lieben und schätzen zu lernen. Als ich aufs College ging, dachte ich, dass mein Wunsch, mich androgyn kleiden und mir einen weiblichen Geschlechtsausdruck anzueignen, beschämend war. Und für die ersten Monate des College versteckte ich es vor anderen und von mir selbst.

Aber nach Jahren der Arbeit daran, innerliche Unterdrückung und männliche Scham freizulegen, hatte ich endlich gelernt, meinen Kopf hoch zu halten. Und ich stampfte auf meinen fünf Zentimeter hohen Absätzen durch die Verbindungsstudenten. Ich machte mir einen Namen zu an der Duke und am Ende von vier Jahren trug ich Bleistiftröcke und Hosenanzüge zu Sitzungen mit dem Kuratorium. Als ich meinen Abschluss machte, war ich selbstbewusst und hatte meinen Frieden mit meinem Geschlecht gemacht.

Zumindest dachte ich das.

Jetzt, als frischer Absolvent werde ich mit der Arbeitswelt konfrontiert und ich bemerke, dass ich mich einem viel größeren Hindernisstellen muss als Verbindungs-Jungen. Ich muss mit der Professionalität kämpfen.

Professionalität ist ein seltsamer Begriff, weil er sich als neutral tarnt obwohl er mit immenser Unterdrückung aufgeladen ist. Als Konzept ist Professionalität rassistisch, sexistisch, homophob, transphob, konservativ, imperialistisch und vieles mehr – und doch tun die Menschen so als wäre Professionalität unpolitisch.

Bosse im ganzen Land erzählen ihren Mitarbeiter ständig „professionell zu handeln“ ohne weiter darüber nachzudenken. Tragen Sie an der Arbeit ein Kleidungsstück, das Ihre nicht-westliche Kultur zum Ausdruck bringt? Ihr Chef kann Ihnen sagen, das ist unprofessionell. Tragen Sie Ihr Haar in Zöpfen oder Dreadlocks? Das ist wahrscheinlich auch unprofessionell. Tragen Sie Schuhe, die etwas abgewetzt sind, weil Sie sich neue noch nicht leisten können? Die Leute werden vermuten, dass Sie nicht professionell sind.

Die Professionalität war nun mein Feind, weil sie erfordert, dass meine Geschlechtsidentität ständig und ohne Reue ausgelöscht ist.

Am Arbeitsplatz kann das Geschlecht definitiv nur binär, eindeutig und unzweifelhaft sein. Wenn Sie es wagen, aus der Reihe tanzen, riskieren Sie von Kollegen gemobbt zu werden, nicht befördert zu werden oder sogar Ihren Job zu verlieren.

Und wenn du als Transgender oder wegen deines Gender diskriminiert wirst, hast du eventuell nicht einmal Zugang zu Rechtsmitteln, weil es in vielen Staaten immer noch völlig legal ist, nicht geschlechts-konformen Mitarbeiter zu diskriminieren.

Also kamen am ersten Morgen vor der Arbeit, als ich meine Hose, Bluse, Heels und Perlen anzog, die Selbstzweifel brüllend zurück.

Würde ich immer noch den Respekt meines Chefs haben, wenn ich mit hohen Absätzen auftauchte? Würde ich als Professioneller behandelt werden, wenn ich Ohrringe trug? Würde ich mit Lippenstift ernstgenommen werden? Würden meine Kollegen mich respektieren, wie ich bin?

Als ich zur Arbeit ging, schlichen sich diese Zweifel immer wieder in meinen Kopf.
Ich dachte zurück an all die Male, wo die Leute mir gesagt hatten „Halte dich an der Arbeit zurück.“ Ich dachte zurück an Gespräche mit meinem Vater, wo er mir sagte, ich solle den „extravaganten Kram“ weglassen, wenn ich respektiert werden wolle. Ich dachte an den ehemaligen Praktikumsvorgesetzten zurück, der mir sagte, dass ich im Büro nicht respektiert werde, wenn ich mich entschied, meine Geschlechtsidentität zum Ausdruck bringen. Ich dachte zurück an die unzähligen Erinnerungen aus der Kindheit, in denen ich als „Weichei“ verspottetet wurde.

Ich dachte an alle das zurück, holte tief Luft und ging durch die Eingangstür meines neuen Büros und die Absätze klackerten auf dem Betonboden.

Wir Transgender, wir nicht gender- und geschlechtskonformen Menschen haben etwas Besseres verdient.

Wir verdienen es, dass unsere Arbeitsethik und Intellekt respektiert wird, unabhängig davon, wie wir uns entscheiden, unsere Geschlechtsidentitäten auszudrücken. Wir verdienen es, die Kleidung zu tragen zu dürfen und sich in einer Weise verhalten zu dürfen, die unserem Gender angemessen sind.
Wir verdienen es, am Arbeitsplatz fair behandelt zu werden.

Auch wenn die Menschen vielleicht versuchen, mich zu diskriminieren und mir sagen, dass ich für die Arbeit „unangemessen“ gekleidet bin, werde ich an meiner Geschlechtsidentität und meinem Selbstwertgefühl festhalten. Ich werde am Arbeitsplatz für diejenigen bleiben, die, so wie ich, finden, dass ihr Geschlecht nicht in eine vorgefertigte Schachtel passt.

Ich werde meine Absätze, Perlen und Röcke an der Arbeit tragen bis hoffentlich die Welt gelernt hat, Leute wie mich zu respektieren.

Also, alle diskriminierenden Arbeitgeber sollten besser aufpassen. Denn ich bin genderqueer, professionell und furchtlos.

Über Jacob Tobia:

Jacob Tobia ist ein Absolvent der Duke University, wo er Human Rights Advocacy and Leadership studierte. Derzeit arbeitet Jacob für die Human Rights Campaign Foundation an LGBTQ politischen Fragen. Davor hat Jacob an der United Nations Foundation, dem „Sonke Gender Justice Network“ und für das „Gay and Lesbian Archives of South Africa“ gearbeitet.

Meine Gedanken dazu

Als ich den Artikel gelesen habe, dachte ich „Wow! Der traut sich was!“ Ich bewundere den Mut von Jacob, sich von den Anforderungen der Arbeitswelt nicht verbiegen zu lassen und seine Identität offen zu leben. Für „normale“ Transgender ist es ja schon schwer, obwohl sie doch eigentlich bloß von einer anerkannten Rolle in eine andere wechseln und diese möglichst unauffällig leben wollen. Aber wenn man mit den Rollenklischees bricht und sich außerhalb des Systems oder dazwischen positioniert, dann ist das immer noch eine Sensation. Der Trubel um Conchita Wurst hat gezeigt, dass selbst im Showbusiness, der ja wirklich an Paradiesvögel gewöhnt ist und diese auch braucht, das Vermischen der Geschlechtsrollen noch ziemlichen Wirbel verursacht.

Jacob ist so etwas wie eine „Conchita im Büro“. Was er sich traut, ist sicher nicht allgemein übertragbar. Er hat Privilegien, die nicht alle haben, vermutlich sogar die wenigsten. Er ist hoch gebildet und artikulationsfähig und er arbeitet in einem beruflichen Umfeld, das notwendigerweise akzeptierend sein muss. Wenn man irgendwo so extravagant sein darf, dann dort.

Es kann und wird nie darum gehen, dass alle Menschen sich den festgeschriebenen Geschlechtsrollen entziehen. Die allermeisten Menschen, auch wenn sie transident sind, werden das nie wollen. Aber es geht um das Recht, anders sein zu können, wenn man das für sich braucht. Es geht darum, so sein zu können, wie man wirklich ist, ohne dass dadurch die Professionalität in Zweifel gezogen wird.

Für die Mehrzahl der Menschen in der Arbeitswelt sind die Rahmenbedingungen schwieriger. Ich würde sicher niemandem empfehlen, einfach mal mit Dreitagebart und im Etuikleid an die Arbeit zu gehen und zu erwarten, dass das akzeptiert wird.

Aber das Beispiel zeigt, was unter bestimmten Rahmenbedingungen geht und beweist damit, dass es überhaupt möglich ist, auch außerhalb der Showbühnen, die Geschlechtergrenzen zu stören. Damit wird ein Ziel für eine mögliche, bessere Gesellschaft gezeigt, dass zumindest grundsätzlich im Bereich des Möglichen liegt.

Dieses Ziel lautet: Niemand muss sich verstecken. Jede Person kann so sein, wie sie nun mal ist, ohne dass dadurch ihre Kompetenz und Professionalität in Zweifel gezogen werden.

Querbezüge:

© Jula 2014

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