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Gender Codes

Was macht eigentlich Frauenkleidung zu Frauenkleidung?
Und warum dürfen Männer sie nicht anziehen?

Wenn ich mich in Crossdresserkreisen umhöre, dann werden immer wieder die Restriktionen männlicher Kleidung ins Feld geführt. Insbesondere wird geklagt, dass Frauen praktisch anziehen können was sie wollen, während die Männer auf Hosen und Hemden und Jacken in fast immer gleichen Schnitten und einer engen Farbpalette (Weiß, Grau, Blau, Schwarz und Braun) festgelegt sind.

Kleidung ist für viele Transgender das wichtigste Mittel, mit dem sie sich als männlich oder weiblich definieren. Für einige ist es sogar das einzige. Wer in Transgender-Diskussionsforen schaut, wird die zentrale Bedeutung der Kleidung bestätigt finden.

Ein Experiment

Nimm ein Blatt Papier und mache drei Spalten. Eine für Kleidungsstücke, die ausschließlich von Frauen getragen werden, eine für solche, die ausschließlich von Männern getragen werden, und eine für den Überschneidungsbereich, also für Kleidungsstücke derer sich beide Geschlechter bedienen.
Nimm dir eine halbe Stunde oder so Zeit, denk gründlich nach.

Ich wette, ich weiß, was herausgekommen ist! Eine Spalte ist leer geblieben!
Genau! Es gibt keine Kleidungsstücke, die bloß von Männern benutzt werden, wenn ich mal von Kondomen absehe.

Es gab einmal in früheren Zeiten, als Männer noch Männer und Frauen noch Frauen waren, einige Dinge, die nur Männern vorbehalten waren: Hosen! Krawatten! Und … jetzt muss ich schon nachdenken. Gut, früher gab es jedenfalls ein paar Dinge. Doch das ist lange schon Geschichte. Heutzutage bleibt die „Exklusiv den Männern vorbehalten“-Spalte leer. Alles, was dort einmal gestanden haben mag, ist in den Überschneidungsbereich abgedriftet.

Die Konstruktion von Gender

Um erklären zu können, was da passiert ist, nutze ich einen Begriff aus der Geschlechterforschung.
Gender!

Dieser aus dem Englischen stammende Begriff meint „Geschlecht“ jedoch in einem anderen als dem biologischen oder sexuellen Sinn. Gender ist das „soziale Geschlecht“, unabhängig von den Genen oder dem Körper. Als soziale Kategorie benennt Gender die kulturellen und sozialen Interpretationen von „Männlichkeit“ und „Weiblichkeit. Gender ist nicht von vornherein da, es wird von Männern und Frauen in ihrer Außendarstellung gemacht. Die Konstruktion von Gender ist eine Daueraufgabe, die alle Menschen ständig in ihren Sozialbeziehungen leisten.

„Gender beschreibt das Geschlecht als einen performativen Akt, das in den verschiedenen Disziplinen und Institutionen durch die Sprache, durch materielle sowie durch visuelle Repräsentationen hergestellt und in einer ständigen Wiederholung rekonstruiert wird.“

Sabine Pollak, Professorin für Gender und Architektur in: Leere Räume Design

Aus der Sicht vieler Konsumentinnen und Konsumenten ist die Abgrenzung zu anderen sozialen Gruppen, also auch zum anderen Geschlecht wichtig. Wir inszenieren uns als „Männer“ oder „Frauen“. Im Englischen gibt es dafür den Begriff „doing gender“ also „Gender machen“. Da wir nun mal in der gesellschaftlichen Erwartung Männer oder Frauen sein müssen, inszenieren wir unseren Geschlechterstatus (Mann oder Frau) in der Öffentlichkeit und auch uns selbst gegenüber.

Und wie macht man nun Gender? Welche Werkzeuge werden für diese soziale Konstruktion verwendet?
Die Konstruktion von Gender funktioniert hauptsächlich über die Gender Codes. Wie der Name schon sagt handelt es sich dabei um Zeichen oder Signale, die die Botschaft „männlich“ oder „weiblich“ aussenden.

Dadurch werden zwei verschiedene Zwecke erfüllt: Zur Erklärung nehme ich mal „weibliche Gender Codes“. Welche Botschaften senden sie genau aus?

Zum einen wird die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe signalisiert („Ich bin eine Frau“). Und zum anderen wird dadurch auch die Abgrenzung zum anderen Geschlecht geleistet („Ich bin kein Mann“).

Von diesen Signalen gibt es eine ganze Menge. Für meine weitere Darstellung beschränke ich mich auf diejenigen, die für Kleidung relevant sind und unterscheide drei Gruppen von Gender Codes.

1. Körperliche Gender Codes

Da sind zunächst natürlich die primären und sekundären Geschlechtsmerkmale. Brüste sind ein Gender Code für „weiblich“, ein Bart ist ein Gender Code für „männlich“. Auch der unterschiedliche Körperbau gehört dazu.

Hier liegen die ersten Ursachen für unterschiedliche Kleidung von Männern und Frauen. Vorhandensein oder Fehlen von Brüsten oder Penissen, Körpergröße, unterschiedliche Proportionen, all das bedingt unterschiedliche Passformen.

Das bedeutet, dass funktionsgerechte Kleidung zumindest unterschiedlich geschnitten sein muss. Z.B. brauchen körperbetonte Blusen Abnäher wegen der Brüste, Männerhemden nicht. Frauen benötigen für ihre Bequemlichkeit (z.B. beim Sport) stützende BHs, Männer nicht.

Die körperlich bedingten Unterschiede erklären jedoch bei weitem nicht die große Varianz zwischen männlicher und weiblicher Kleidung, die wir wahrnehmen können.

Das kann man gut an weiblicher Businesskleidung erkennen. Die ist männlicher Kleidung sehr ähnlich: gedeckte Farben, konservative Schnitte. Praktisch und elegant ohne die Körperformen besonders zu betonen. Frauen tragen sie, um von Männern in der Arbeitswelt ernst genommen zu werden. Frauen ahmen in diesem Bereich männliche Kleidung nach, sie tragen Kleidung mit weiblichen Gender Codes, doch sie ist sehr nah an den männlichen Vorbildern.

2. Historische Gender Codes

Historisch haben sich in unserem Kulturkreis bestimmte Kleidungsregeln für Männer und Frauen herausgebildet, die zu stark unterschiedlicher Kleidung geführt haben. Hosen für Männer, Röcke für Frauen.

Im Grunde ist es Willkür bzw. historischer Zufall, dass heutzutage Frauen Röcke tragen und Männer nicht. Das war geschichtlich oder in anderen Kulturen schon ganz anders. Der römische Bürger trug eine Toga, die Legionäre sogar etwas, was heute nicht anders als „Minirock“ zu nennen wäre.

Beispiel Kilt:
In Schottland ist der Kilt traditionell Männerbekleidung. Was jeder Nichtschotte für einen Faltenrock halten würde, ist dort durch die Tradition ein typisches Männerkleidungsstück. Durch diverse Kleinigkeiten, die dem Laien nicht auffallen, unterscheidet sich ein Kilt für den Kenner deutlich von einem Frauenrock.

Frauen haben ihre kleidungsbezogenen Restriktionen, die auch in Deutschland noch bis weit ins 20. Jahrhundert hinein existierten, weitgehend überwunden. Hosen waren lange Zeit ein starkes Symbol für „Männlichkeit“. Frauen haben den Bedeutungsrahmen erweitert, indem sie Bekleidungsvorschriften brachen und sich ebenfalls Beinkleider anlegten. Heute ist die Hose kein ausschließlich „männliches“ Thema mehr. Eine Frau kann problemlos eine Männerhose tragen, während ein Mann im leichten Sommerkleid vielleicht doch Aufsehen erregen würde.

Die heutige Situation, dass Frauen in der Wahl ihrer Kleidung relativ frei sind, ist nicht vom Himmel gefallen. Frauen haben sich das Recht, Hosen tragen zu dürfen, im 20. Jahrhundert erworben. Noch in den 60er Jahren musste eine Frau damit rechnen, nicht die Oper oder ein Lokal gelassen zu werden, wenn sie eine Hose anhatte. Doch die Frauen haben nicht aufgegeben und die Restriktionen überwunden.

Die historischen Codes können sich also ändern. Die Hosen-Sache ist nur ein Beispiel dafür.

Das Rosa und Blau-Beispiel:

Die Unterscheidung von Jungen und Mädchen durch die Farben Blau und Rosa hat sich erst seit den 1920er Jahren langsam durchgesetzt. Davor war die Farbsymbolik unseres Kulturkreises eng mit der christlichen Symbolik verknüpft. Diese verband mit Rot „königlich“ und „männlich“. Kleine Jungen wohlhabender Familien wurden deshalb gerne in das „kleine Rot“, also in Rosa gekleidet. Blau dagegen wurde als Farbe des „Himmlischen“ und „Weiblichen“ gesehen und symbolisch auf Kleidung für Mädchen übertragen.

Aus der Broschüre „Gender & Design“

Wer würde heute noch seinen kleinen Jungen in „königliches Rosa“ kleiden? Welches kleine Mädchen würde gerne auf diese Farbe verzichten und statt dessen einen hellblauen Scout-Rucksack in die Schule schleppen?

3. Gewillkürte Gender Codes

Ich weiß, der Begriff ist nicht toll, aber mir ist kein besserer Name eingefallen.

Hier sind wir im richtig interessanten Bereich. So nenne ich die Gender Codes, die nicht körperlich oder historisch bedingt sind, sondern „einfach so“ konstruiert wurden.

Und ich stoße auf eine seltsame Tatsache: es gibt haufenweise Gender Codes, die die Botschaft „weiblich“ haben, aber so gut wie keine, die „männlich“ symbolisieren. Stoffe, Farben, Schnitte, Accessoires, die exklusiv weiblich sind, gibt es in Mengen!

Wenn also Frauenkleidung sich deutlich von Männerkleidung unterscheidet, dann deshalb, weil Frauen mit ihren Kleidungsstücken spezifische Gender Codes setzen.

Körperlich bedingte GenderCodesHistorisch bedingte GenderCodesGewillkürte
GenderCodes
Männlich Hosenschlitz
Passform, Ergonomie
Hosen
Krawatte
Knopfreihe rechts
???
WeiblichBH!
Passform, Ergonomie
Rock
Kleid
Knopfreihe links
Jede Menge: Formen, Farben, Muster, Materialien, Accessoires

Was Kleidung weiblich macht

Was unterscheidet Kleidung, die auch Männer anziehen würden, von „richtiger“ Frauenkleidung?

Werfen wir zunächst einen Blick auf die Männerkleidung. Die lässt sich mit einem Wort beschreiben: Funktionalität.

Männern ist primär die Funktion wichtig. Schutz vor der Witterung, Taschen und Gürtelschlaufen. Kein unnötiges Getüddel! Formen müssen praktisch sein, und Farben unauffällig. Eine Krawatte oder eine Fliege ist die einzige Ausnahme im Bereich der gesellschaftsfähigen Kleidung, die sich Männer gestatten.

Zur Funktionalität gehört übrigens ebenfalls die Betonung geschlechtsspezifischer, körperlicher Vorzüge. Es ist richtig, dass weibliche Kleidung auch dazu dient weibliche Körperformen herauszustellen und so die Attraktivität der Trägerin für Männer zu erhöhen. Das ist ein funktionaler Aspekt. Und der gilt für Männerkleidung ebenso. Muscle-Shirts und Jeans sind ebenso wie Jacken, die breitere Schultern machen, Statements, die an das andere Geschlecht adressiert sind. Funktionalität eben.

Und Frauenkleidung?

Frauenkleidung hat Extras, die nicht der Funktionalität in diesem weiten Sinne zuzuordnen sind. Es sind Spezifika, die keinen anderen Zweck haben als die Befriedigung ästhetischer Bedürfnisse.

Mit der Kleidung ist es letztendlich nicht anders als mit Gardinen. Meinst du irgendein Fenster der Welt hätte eine Gardine, wenn nicht eine Frau dort eine hingehängt hätte? Okay, wir lassen jetzt mal homosexuelle Männer außen vor. Verzierungen, nutzlose Details, lustige oder niedliche Applikationen, mit einem Wort DEKO … das alles interessiert einen Mann nicht. Praktisch muss es halt sein und unauffällig – fertig. Welchen Nutzen haben Gardinen?

Als die Frauen anfingen Hosen zu tragen und dementsprechend auf dem Bekleidungsmarkt Hosen für Frauen angeboten wurden, gab es plötzlich welche, die (im übertragenen Sinne) Gardinen hatten: bunte Farben, aufgestickte Muster, Glitzer, funktionslose Reißverschlüsse, Bordüren usw. usf. Und diese Hosen waren dann plötzlich originär feminin, weil sie nämlich dieses alberne Design und Zubehör hatten, dass ein Mann niemals sowas anziehen würde.

Frauenkleidung darf und soll über die reine Funktionalität hinaus, manchmal sogar statt dessen, ganz andere Botschaften transportieren: ich bin verletzlich, ich bin niedlich, ich bin albern. Und vor allem wollen sie Aufmerksamkeit provozieren!

Ein Crossdresser, der das in seiner Person auf den Punkt gebracht hat, ist Grayson Perry. Nun gut, keine erwachsene Frau würde in einem Kindergartenkleidchen auf die Straße gehen, doch die Überspitzung macht es deutlich: Frauensachen zeichnen sich durch eine spezifische Besonderheit aus! Sie sollen nicht in erster Linie praktisch sein, sondern sind ein ästhetisches Statement. Bestimmte weibliche Kleidung ist sogar total unpraktisch! Man kann von Highheels sagen was man will, aber praktisch sind sie ganz bestimmt nicht!

Ein weiteres Beispiel ist, dass viele Frauenoberteile und Kleider die Verschlüsse auf dem Rücken haben. Die Frau, die ihren Mann bittet, ihr doch das Kleid zuzumachen, ist fast schon eine Standardszene in Beziehungsfilmen. Ich vermute, das mit den Verschlüssen auf dem Rücken stammt noch aus Zeiten, in denen die feine Dame eine Zofe hatte (also ein historischer Gender Code), heutzutage gibt es keinen praktischen Grund für Verschlüsse auf dem Rücken. Nur ästhetische (Keine störenden funktionalen Elemente auf der Vorderseite) oder eben psychologische: „Schau doch nur! Ich trage etwas, in das ich scheinbar ohne fremde Hilfe weder rein- noch rauskomme! Mach dir Gedanken darüber!“

Natürlich beinhalten auch Männersachen ein ästhetisches Statement, allerdings ein vollkommen anderes. Sie signalisieren Ernsthaftigkeit, Sachorientierung, Zurückhaltung. Nutzloser und unpraktischer als eine Krawatte dürfen sie allerdings nicht sein. Und alberner als ein T-Shirtspruch oder eine Comicfigurenkrawatte ebenfalls nicht. Ein Mann ist selbständig und respekteinflößend und das vermittelt auch seine Kleidung.

All diese Symbole haben (anders als weibliche Gender Codes auf Männer) keinerlei abschreckende Wirkung auf Frauen. Wenn Frauen die Sachen gefallen, dann tragen sie sie!

Im Grunde fällt mir nur ein echt männlicher Gender Code, also ein Merkmal, das bestimmte Kleidungsstücke als männlich definiert, ein: die Platzierung der Knopfreihe!

Zu den historischen Gender Code gehört die Rechts- bzw. Linksknöpfung bei Hemden, Blusen, Jacken, Mänteln bis hin zum Hosenschlitz. Bei Männerhemden sind die Knöpfe auf der rechten Seite, bei Frauenblusen auf der linken. Der Ursprung dieser Konvention liegt im Dunkel der Geschichte. Ein Männerhemd und eine Männer erkennt man immer noch daran, dass die linke Seite über die rechte geschlagen wird, bei Frauenkleidung ist es umgekehrt.

Während die meisten Frauenhosen diese Konvention wahren, wenn es um den Hosenschlitz geht, gilt sie, wenn überhaupt für Frauenjeans nur sehr eingeschränkt. Auch Jeans, die mit haufenweise weiblichen Gender Code versehen sind (Strasssteinchen, Stickereien, Abnäher …) und deshalb für Männer nicht tragbar sind, haben meist einen „männlichen“ Hosenschlitz.

Die Wirkung von Gender Codes

Das Defizit an männlichen Gender Codes führt zu einer seltsamen Asymmetrie: ein Kleidungsstück oder noch allgemeiner ein Produkt ist entweder eines ohne besondere Gender Codes, dann steht es beiden Geschlechtern zur Benutzung offen … oder es hat weibliche Gender Codes.

Die Kraft von weiblichen Gender Codes ist gewaltig. Hat ein Kleidungsstück weibliche Gender Codes, dann kann es ein Mann nicht anziehen, selbst wenn es ihm passen würde! Es ist für ihn tabu.

Insofern ist die allgemeine Feststellung, dass es zu Abwehrhaltungen von Konsumentinnen oder Konsumenten kommen kann, die sich nicht mit einem vergeschlechtlichten Modell eines Produktes identifizieren können oder wollen, grundsätzlich richtig, aber nur in einer Richtung relevant. Nämlich was die Abwehrhaltung von Männern gegenüber Gegenständen mit weiblichen Gender Codes betrifft. Wenn es Gegenstände mit weiblichen Gender Code gibt, dann nehmen Frauen lieber die, gibt es sie nicht, dann werden halt die männlichen bzw. neutralen genommen.

Beispiel Regenschirm: Stell dir vor es regnet und du bist bei Freunden zu Gast. Die bieten dir für deinen Heimweg einen Regenschirm an. Eine Frau wird problemlos jeden ihr angebotenen Schirm nehmen. Ein Mann wird sich selbst bei starkem Regen schwer überlegen, ob er den rosa Stockschirm nutzen soll oder sich doch lieber nassregnen lässt.

Noch ein Experiment:
Stell dir einen großen Haufen Kleidung vor, aus dem du dir Männerkleidung raussuchen sollst. Stell dir weiter vor, die Kleidungsstücke hätten alle die gleiche Konfektionsgröße. Welches Kriterium würdest du anwenden, um für dich „Männerkleidung“ zu finden?
Du würdest die Frauenkleidung aussortieren!
Ein bunter Rock ist weiblich. Eine transparente Bluse mit Blumenmuster ebenfalls. Eine Feinstrumpfhose ebenfalls.
Was ist mit dem grauen Pullover, dem blauen T-Shirt, den Tennissocken, der Lederjacke, den Jeans?
Sind okay, wenn nichts dran ist, was sie für einen Mann untragbar macht:
In letzter Konsequenz würdest du nach weiblichen Gender Codes suchen. Und wenn das Kleidungsstück keine hat, dann wäre es für einen Mann geeignet.

Und nun stell dir vor, du wärst eine Frau vor dem gleichen Kleiderhaufen! Du würdest das nehmen, was dir gefällt, bequem und passend erscheint!

Ist das nicht ein verblüffendes Ergebnis, wo doch eigentlich Frauen diejenigen sind, die immer nach dem Aussehen und nicht nach der Funktion gehen.

Nach allem was ich geschrieben habe, ist es eigentlich falsch, wenn ich von „Männersachen“ spreche. Heutzutage gibt es in unserem Kulturkreis keine Frauenkleidung und Männerkleidung mehr! Sondern es gibt Kleidung, die von beiden Geschlechtern (wenn auch mit jeweils leicht unterschiedlicher Passform) getragen wird und solche, die nur von Frauen getragen wird.

Nehmen wir ein ganz normales weißes T-Shirt. Es würde von einem Mann problemlos getragen werden, wenn es ihm passt. Wenn man ein wenig weiblichen Gender Code hinzufügt wird es für den Mann Tabu! Es braucht nicht viel: 5 oder 6 aufgenähte Pailletten oder zwei winzige Strass-Steinchen reichen vollkommen aus um das Shirt zu exklusiver Frauenkleidung zu machen.

Wenn Strümpfe dünn und transparent werden, dann dürfen sie plötzlich nur noch von Frauen getragen werden. Männer tragen keine transparenten Strümpfe!

Wer trägt welche Kleidung:

MännerFrauen
Männliche Gender Codes*)xx
Keine Gender Codesxx
Weibliche Gender Codesx

*) Wenn es sie denn überhaupt gibt!

Die Hose hatte früher einmal per se den Gender Code „männlich“. Frauen durften keine Hosen tragen, sondern nur Röcke. Heutzutage haben Frauen die Hose für sich adaptiert. Jetzt können sie jede Hose tragen … und Männer bestimmte Hosen nicht, weil diese zusätzlich weibliche Gender Codes haben, die sie für Männer tabu machen.

Nylonstrümpfe sind bloß deshalb „weiblich“, weil Männer sie nicht für sich reklamieren. Würden genug Männer Kniestrümpfe und Socken in 20-DEN tragen, dann würden solche Strümpfe nicht mehr „weiblich“. Sie wären geschlechtsneutral wie eine Jeans. Im Barockzeitalter wurden Seidenstrümpfe von Männern getragen. Stolz zeigten sie ihre bestrumpften Waden, die dank Kniebundhosen und Schuhen mit hohen Absätzen schön betont wurden. Doch die aufgekommene Mode der langen Hosen machte dem ein Ende. Würden viele Männer anfangen „ganz normal“ statt Wollstrümpfen oder Baumwollsocken dünne Nylonstrümpfe zu tragen, würden sie sehr schnell aufhören einen weiblichen Gender Code zu haben. Sie würden, wie es auch der „männlichen“ Hose passiert ist, in den Unisex-Bereich verlagert werden.

Unisex?!

Unisex ist ein interessantes Stichwort. Wie schon mehrfach erwähnt hat Kleidung entweder in relevantem Umfang weibliche Gender Codes, dann ist sie den Frauen vorbehalten. Oder sie hat wenig oder gar keine weiblichen Gender Codes, dann kann sie auch ein Mann unbehelligt und ohne Angst vor Gelächter und schrägen Blicken anziehen.

Ein nicht unerheblicher Teil der Kleidung, die es für Frauen gibt, gehört in diesen Bereich. Schlichte Pullover, lange Hosen, Kniestrümpfe (blickdicht!) und auch viele Schuhe.

Ein Großteil meiner Freizeitkleidung stammt aus der Damenabteilung. Ich habe keine Männerjeans, keine männliche Unterwäsche, nur noch zum Sport ein paar Männersocken. Selbst meine Halbschuhe, die ich im Job zum Anzug trage, sind bei genauer Betrachtung Damenschuhe. Aber das sieht niemand! Eigentlich achte ich momentan beim Kauf sogar darauf, dass die Sachen nicht zu neutral sind. Ein Hauch von weiblichen Gender Codes darf schon sein. Der Schnitt der Ärmel beim T-Shirt, eine weibliche Knopfleiste bei der Strickjacke, fast (aber eben nur fast!) durchsichtige Strümpfe, eine kleine Stickerei auf der hinteren Tasche der Jeans, eine schicke Metallschnalle auf den Slippers oder auch ein „weiblicher“ Hosenschlitz. Meist laufe ich in meiner Freizeit komplett in weiblichen Sachen rum. Aber weil sie nur wenige weibliche Gender Codes haben, fällt das niemandem auf.

Wenn dich interessiert, warum das niemandem auffällt, lies meinen Kugelartikel.

Die gute Nachricht ist: du kannst dich als Mann locker komplett mit Frauensachen kleiden und es wird niemandem auffallen. Die schlechte Nachricht: diese weiblichen Sachen sind mangels weiblicher Gender Codes im Prinzip genau so langweilig wie Männersachen! Tabu sind für Männer also im Grunde nicht Frauenkleidung, sondern nur Kleidung mit weiblichen Gender Codes

Dem Tabu auf der Spur

Wer verbietet Männern Röcke zu tragen, bunte Farben und Muster? Wer hat den Frauen erlaubt, alles anzuziehen und es den Männern verboten? Was ist das für eine komische Sittenregel und wer hat sie gemacht?

Gut, es gibt für Männer keinen Anlass einen BH zu tragen. Aber wieso verzichten Männer auf Kleider, Haarschmuck, Pumps, Röcke usw usf?

Warum sind heutzutage alle männlichen Gender Codes, die es mal gab, erodiert, während umgekehrt der Bereich der Kleidungsstücke, die Männer nicht tragen können nahezu unverändert geblieben ist?

Hierzu gibt es zwei unterschiedliche Erklärungsansätze. Ich nenne sie 1. den Feministischen und 2. Meinen!

1. Die feministische Theorie der Gender Codes

Das festgestellte Ungleichgewicht hat etwas mit unserer kulturell bedingten Geschlechterhierarchie zu tun. Die Geschlechter sind bei uns nicht gleichwertig. Vielleicht sind sie mittlerweile rechtlich gleich, aber nicht in unserer christlich-abendländischen Wertordnung. Frauen sind wie es schon Simone de Beauvoir sagte „Le deuxieme sexe“ Das zweite Geschlecht! Das erste, das göttliche, das HERRschende ist der Mann. Und so können Frauen ohne Ansehensverlust männliche Gender Codes demontieren. Davon profitieren sie höchstens! Umgekehrt kann kein Mann davon profitieren, in weibliche Domänen einzubrechen.

Stimmt das so wirklich? Ich zitiere noch mal die Broschüre „Gender & Design“:

„Gender weckt das Bedürfnis, Produkte mit gleicher Funktion nach Geschlecht unterschiedlich zu gestalten und zu benützen. Auf diese Weise werden sichtbare Grenzen zum anderen Geschlecht gezogen. Diese Grenzen markieren gleichzeitig eine subtile Hierarchie. Denn sozial ist es nicht egal, ob und wann Männer sogenannte Frauenprodukte verwenden, da sie eine Abwertung für ihren Genderstatus bedeuten können. Für Frauen ist der Griff zu einem „männlich“ anmutenden Produkt dagegen mit einer Aufwertung verbunden.“

Wenn das wirklich die ganze Wahrheit wäre, dann würden doch sämtliche Frauen nur noch Männerprodukte benutzen, wenn man sie nicht daran hinderte! Sie hätten den Vorteil der Aufwertung ihres Genderstatus. Doch in der Realität ist es genau umgekehrt! Frauen verlangen nach Produkten mit femininen Gender Codes. Und zwar selbst dort, wo es keinen funktionalen Grund dafür gibt!

Exkurs: Gender Codes an Gebrauchsgegenständen

Gender Codes exisitieren nicht nur bei Kleidung. Sie werden auch an Gebrauchsgegenständenangebracht, bei denen es keinerlei sachlichen Grund für eine geschlechtsbezogene Differenzierung gibt. In verschiedenen Produktgruppen „verlangt“ Gender offensichtlich nach Abgrenzungen zum anderen Geschlecht. Und es ist festzustellen, dass Frauen in viel höherem Maße als Männer das Bedürfnis spüren, die für sie „bestimmten“ Produkte auch als „ihre“ zu kennzeichnen. Das mag vor allem darauf beruhen, dass die meisten Produkte ohne Gender Codes bzw. besser gesagt ohne weibliche Gender Codes produziert wurden.

Das Nassrasierer-Beispiel:
Als in den 1990er Jahren immer mehr Frauen anfingen, sich Beine und Achseln zu rasieren, kamen Nassrasierer auf den Markt, die sich durch sanft geschwungene Formen, Pastellfarben und phantasievolle Namen von den funktional-technisch anmutenden Prototypen klar unterschieden. Zwar funktionierten die zuvor angebotenen Apparate am Frauenkörper genauso gut, dennoch wurden die Rasierer mit auffälligen Gender Codes versehen.
Damit wurde nicht nur ein neuer Markt definiert. Die Aura des „männlichen“ Nassrasierers war nun konserviert und Frauen wurde eine „weibliche“ Variation nahegelegt.
Aus der Broschüre „Gender& Design“

Als weiteres Beispiel könnte ich Mobiltelefone benennen, wo es inzwischen außer den „normalen“ auch einige Modelle gibt, die sich optisch mit weiblichen Gender Codes von der Masse abheben. Florale Motive oder auch ein rosa Cover machen ein Mobiltelefon für Männer unmöglich! Und wenn es ein Unisexmodell ist, dann wird es eventuell mit ein wenig „Handyschmuck“ feminisiert. Offensichtlich wirkt hier ein Schmuckbedürfnis, das Männer nicht haben.

Mein Lieblingsbeispiel ist jedoch Werkzeug für Frauen! Es unterscheidet sich in seiner Funktionalität nicht von Männerwerkzeug – was will man an einem Hammer auch groß verändern. Doch es ist speziell für Frauen designt. Auffällig ist (und das ist wahrscheinlich schon der gravierendste Unterschied zu Standardwerkzeugen), dass es farbig ist. Verblüffenderweise setzt Tomboy Tools auf ein schönes Blau. Einen rosa Hammer gibt es aktuell nur als Anti-Brustkrebs-Sonderedition.

Exkurs Ende

Zusammenfassend: man kann mit der dargestellten feministischen Sicht der Dinge einiges erklären, insbesondere die Angst der Männer, sich etwas zu vergeben, wenn sie weibliche Produkte nutzen. Es bleibt jedoch ein unerklärter Rest: warum wollen sich Frauen in ihren Produkten von den Männern abgrenzen, wenn sie doch von deren höherem Genderstatus profitieren könnten?

Das führt mich zu:

2. Julas Theorie der Gender Codes

Frauen mögen einfach andere Dinge als Männer! Und sie wollen die Dinge so, wie sie sie schön finden. Wie schon geschrieben, wird der Aspekt der Funktionalität bei Frauen sehr stark überlagert vom Aspekt der Ästhetik. Im Zweifel wird sogar die Funktionalität hinten angestellt und der der Ästhetik der Vorzug gegeben. Und wenn ihnen etwas gefällt dann probieren sie es aus.

Umgekehrt hätten die Männer alle Möglichkeiten, das anzuziehen, was ihnen gefällt.

Wenn ich mich an den traditionellen Machtverhältnissen unserer abendländischen Kultur orientiere, dann hätten die Männer in der Vergangenheit und wohl auch noch in der Gegenwart alle Möglichkeiten gehabt, sich von den Frauen das zu holen, was ihnen passt. Bei Geschlechtsverkehr haben sie es ja schließlich auch immer getan. Weibliche Verhaltensweisen, Kleidung und Vorlieben haben Männer jedoch nie adaptiert. Und zwar nicht primär aus der Angst, sich etwas zu vergeben, sondern ganz schlicht, weil sie es nicht mögen. Sie haben kein Interesse an Hemdchen mit Spaghettiträgern, an Lack auf den Fingernägeln, an Miniröcken oder Nylonstrümpfen!

Jedoch haben es die Männer nicht geschafft, die Adaption ihrer Exklusivrechte durch die Frauen zu verhindern. Hat all die Macht der Männer verhindern können, dass die Hose zum selbstverständlichen Kleidungsstück für Frauen wurde? Und ist es nicht typisch, dass heutzutage in einem Kaufhaus die Abteilung für Frauenhosen so groß ist, wie die gesamte Abteilung für Männerbekleidung einschließlich Unterwäsche und Hemden?

Insofern lautet meine schlichte Antwort auf die Frage, wer denn in unserer liberalen Gesellschaft den Männern verboten hat Frauenkleidung zu tragen: NIEMAND!

Die simple Wahrheit ist: Frauenkleidung ist jedes Kleidungsstück, das ein Mann nicht anziehen würde! Männer wollen die Kleidung die sie haben und anderes ist halt Frauenkram!

Weil Frauen bunte Farben, Muster und nutzlose Details nachfragen, gibt es für sie auch entsprechende Kleidungsstücke. Männer machen einen riesigen Bogen um solche Albereien, deswegen gibt es die für sie auch nicht.

Versuche, die Männer für die Welt der Frauen zu öffnen, kamen meist von supercleveren Modemachern, die eine Marktlücke witterten, und sind allesamt erfolglos geblieben. Ich sage nur „Männerhandtasche“, „Männerrock“ und „Makeup für Männer“ „Männerstrumpfhose“. Das hat sich alles nicht bei der breiten Masse der Männer durchsetzen können. Beispielhaft für eine kleine Gruppe aufrechter Kämpfer für die bekleidungsmäßige Emanzipation der Männer seien hier die „Rocker“ genannt, die mutig für ihre Überzeugungen eintreten und gegen die Konventionen vorgehen.

Mir fällt kein Beispiel eines Frauenproduktes ein, das später in „männlicher Version“ auf dem Markt auftauchte und erfolgreich war.

Andersherum haben Frauen alle Männerartikel einschließlich der Nassrasierer und der Krawatte für sich adaptiert. Ergebnis: alles, was es für Männer gibt, gibt es auch für Frauen (bloß in größerer Vielfalt) und die meisten typischen Frauensachen haben sich bei Männern durchsetzen können.

Was können wir daraus lernen?

Zum einen, dass die Welt für Männer deutlich kleiner, um nicht zu sagen ärmer ist als für Frauen. Frau zu sein bedeutet mehr Auswahl zu haben. Mehr individuelle Gestaltungsmöglichkeiten zu haben.

Eine Frau, die Männersachen nutzt oder anzieht, die macht das halt und wird eventuell noch dafür gelobt, dass sie pfiffig ist. Ein Mann, der Frauensachen nutzt ist bestenfalls verschroben, wahrscheinlich aber ein Perverser.

Zum anderen, dass die Männer freiwillig Verzicht üben. Sie verzichten aktuell (das war historisch mal anders) zunächst auf die Nutzung von Gender Codes. „Ohne weiblichen Gender Code“ heißt nicht mehr (wie es früher einmal gewesen ist): „reine Männersache“ sondern es heißt bloß noch „kann von Männern benutzt bzw. getragen werden“.

Außerdem verzichten Männer darauf, Sachen mit weiblichen Gender Codes für sich zu nutzen. Es gibt kein Verbot! Es gibt nur die Angst der Männer, sich etwas zu vergeben.
Doch im Grunde ist beides nicht einmal ein Verzicht, sondern die Männer haben schlicht kein Interesse an der größeren, bunteren Welt der Frauen.
Da ich genetisch ein Mann bin, sollte es mir theoretisch, so wie den meisten anderen Männern, nichts fehlen.

Praktisch aber geht es mir wie den Frauen, die bloß weil sie mittlerweile Hosen tragen dürfen und das auch gerne tun, nicht darauf verzichten mögen, auch weiterhin Röcke und Kleider zu tragen. Die schmückende Elemente an ihrer Kleidung tragen, auch oder vielleicht gerade weil sie keinen praktischen Nutzen haben.

© Jula 2006

Ein Gedanke zu „Gender Codes“

  1. Hallo Jula,
    ich lese gern Deine niedergeschriebenen Gedanken. Zu dem Thema „Gender Code“: Trifft für die westliche Patriarchendenke zu. In Asien ganz unterschiedlich. Andere Gender Codes. Im Himalaya Hochland gibt es Clans mit Matriarchat. Frauen haben mehrere Männer, sind geschmückt, achten auf Schönes. Die Männer sind mehr graue Masse. Gibts auch an der Mexico/Guatemala Grenze. Hier wie dort wirken die Männer stark unterdrückt.
    Und bei uns? Angst der Männer vor dem Ruf der Schwäche, Weichheit. Hier heißt weiblich weibisch. Und das bedeutet: schwach! Seit ~ 3 Jahren erkenne ich mich als MzF, Teilzeit. Langsam gebe ich dies dem Bekanntenkreis zu erkennen. Einige ziehen sich zurück. Keine Mitübenden aus den Kampfkünsten. Dort habe ich aufgrund meines Tuns einen akzeptierten Stand. Beim TaiChi trage ich oft ein buntes Desigual Shirt. Die Männer finden den leichten Stoff gut, auch das Bunte, manchmal. Die Frauen sowieso. Beim Aikido ist die „Uniform“ ein schwarzer Hosenrock zur Kimonojacke. Männlein und Weiblein gleich. Stina fühlt sich wohl. Männer versuchen oft, dies wie „Django“ zu tragen. Sieht einfach Sch… aus. Der Gürtel (Obi) sollte in der Taille getragen werden, dann siehts gut aus. Aus Westsicht ein touch feminin. Die Derwische tragen ihren Kaftan ähnlich.
    Nun ja, allerdings ist mein FrauseinSelbstBild wohl kindheitsgeprägt – aus den 60ern. Jetzt wenig aktuell. Hm, spirituell suche Zusammenhänge. Die Indianische 2-Spirit-Idee verfolge ich gerade.

    Danke für Deine Website
    Grüße ausm Norden
    Stina (Findest Du im pef = projekt-en-femme.de)

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